Therapie auf der Welle
Rehabilitation auf dem Wasser: krebskranke Kinder können auf Sylt surfen
Lara Keck ist ein sportliches Mädchen. Drahtig, fröhlich, ehrgeizig. Eine Welle nach der anderen paddelt sie in dem höchstens 14 Grad »warmen« Wasser an. Drückt ihren Körper mit den Armen hoch, springt auf das Brett und gleitet fast spielerisch über das Wasser, lacht triumphierend. Wer sie sieht, kann sich nicht vorstellen, dass sie noch bis vor Kurzem intensiv therapiert wurde. Bei der heute 13-jährigen diagnostizierten die Ärzte vergangenes Jahr einen aggressiven Knochenkrebs.
Laras Mutter Jutta Keck-Leupold kann sich genau an den Tag erinnern, an dem die Welt für sie und ihre Familie plötzlich stillstand. Das war der 7. April 2014. »An dem Tag haben wir die Diagnose bekommen. Ich dachte, jetzt ist alles vorbei«, erzählt Jutta Keck-Leupold. Sie und ihr Mann Holger Keck hätten gar nicht mehr denken können, funktionierten nur noch. »Wir wussten nicht, was auf uns zukommt. Eine Woche nach der Diagnose bekam Lara schon die erste Chemotherapie«, erinnern sich die Eltern.
Ein Jahr lang wird der Teenager intensiv therapiert. Ein Jahr lang ist Lara herausgerissen aus ihrem sozialen Umfeld. Ein Jahr lang kämpft sie immer wieder mit Übelkeit und Schleimhautproblemen. 14 Chemotherapien und 35 Bestrahlungen muss sie überstehen. Dennoch geht Lara mit einem Lächeln zur Therapie. »Sie ist schon immer ein positiver Mensch gewesen, auch sehr diszipliniert. Das hat ihr durch die Therapie geholfen«, sagt ihre Mutter. Hinzu kommt: Lara ist Sportlerin. Vor ihrer Erkrankung turnt sie dreimal wöchentlich intensiv, nimmt an Wettkämpfen teil. Mit Disziplin, positiver Lebenseinstellung und einer guten körperlichen Grund-Konstitution kämpft sich Lara zurück ins Leben. Attribute, die ihr später auch in der Reha helfen.
Als Lara die kräftezehrende Therapie überstanden hat, kommt sie zusammen mit ihrer Familie für eine vierwöchige Reha in die Syltklinik. Hier sollen Familien mit einem krebskranken Kind neue Kraft schöpfen. Erst in der Klinik erfährt Lara, dass auch Wellenreiten und Stand-up-Paddeln auf dem Therapieplan stehen. Die 13-Jährige ist begeistert. Das ist so gewollt, erklärt die behandelnde Ärztin, Dr. Kathrin Klint. »Das Surfen wirkt extrem motivierend auf die Kinder. Außerdem gibt es Kraft, Ausdauer und steigert das Selbstbewusstsein. Mit einer klassischen Physiotherapie ist das nicht zu erreichen«, ist die Medizinerin überzeugt.
Seit 2007 bietet die Syltklinik therapeutisches Wellenreiten an. »Die Idee ist 2006 entstanden. Ein Jahr später waren wir dann schon mit den ersten Kids im Wasser«, erzählt Florian Gränert. Er ist Sporttherapeut an der Klinik und hat das Therapieangebot gemeinsam mit Kollegen umgesetzt. Gränert, selbst begeisterter Wellenreiter, sagt: »Ich weiß, wie gut mir das Surfen tut. Deshalb wollte ich es auch den Kindern ermöglichen.« Die Idee war damals neu, Vergleichswerte gab es nicht. Doch wer die jungen Patienten auf dem Wasser beobachtet, braucht keine Zahlen. Lachend kämpfen sie sich immer wieder auf das Brett, haben sichtlich Freude an der ungewohnten Bewegung im Meer. So schafft es Lara schon beim zweiten Ausflug ins Wasser, auf dem Brett zu stehen. Eine ungeheure körperliche Leistung nach einer Krebserkrankung, weiß ihr Betreuer. Der ist von ihrem Ehrgeiz und ihrem Durchhaltevermögen begeistert. »Das Ziel ist ja im Grunde zunächst, dass die Kinder liegend auf dem Brett gleiten, um wieder ein Körpergefühl zu bekommen. Was Lara auf dem Wasser zeigt ist super«, so Florian Gränert.
Auch Prof. Dr. Joachim Boos von der Universitätsklinik Münster ist ein Verfechter der Bewegungstherapie bei krebskranken Kindern. Seit Jahren schon macht er sich für alternative Therapieformen stark, bietet Ski-Freizeiten an und hat das Netzwerk »Active Onco Kids« gegründet. »Ob Wellenreiten oder Skifahren: Bei den Kindern löst das einen Rausch an Selbstbewusstsein aus. Weil sie sich so etwas gar nicht zutrauen«, erklärt Boos. Dieses Überschreiten von Grenzen fördere die dauerhafte Freude an Bewegung; das sei auch nach der Therapie enorm wichtig.
Dass Lara Freude am Wellenreiten hat, ist nicht zu übersehen. Auch ihr Therapieziel - Muskelaufbau und Kondition - hat sie am Ende der Reha erreicht, so ihre Ärztin. Bei der 13-Jährigen sind zum jetzigen Zeitpunkt keine Krebszellen mehr nachzuweisen. Lara blickt gewohnt optimistisch in die Zukunft. Sie will Architektin werden. Und: »Ich will zurück nach Sylt und an einem Surfcamp teilnehmen.« dpa/nd
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