Helfende Hände aus Hanoi

In Sachsen fehlt Pflegepersonal - das wird nun auch in Vietnam angeworben

  • Christiane Raatz, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
In Sachsen gibt es viele alte Menschen - und zu wenig Altenpfleger. Mit einem Projekt will eine Dresdner Berufsfachschule gegensteuern und wirbt in Vietnam um Nachwuchs.

Heimat und Familie verlassen, stattdessen deutsche Vokabeln büffeln und monatelang die Schulbank drücken: Um sich in Deutschland zum Altenpfleger ausbilden zu lassen, will Sinh Nguyen noch einmal ganz vor vorn anfangen. Der 27-jährige aus Vietnam ist gelernter Koch, in seiner Heimatstadt Hanoi sieht er aber kaum eine Zukunft. In Deutschland dagegen fehlen Pflegekräfte. »Das ist für mich die Chance auf einen sicheren Job«, sagt Sinh Nguyen.

Seit wenigen Wochen ist der junge Mann in Dresden. An der WBS-Berufsfachschule lernt er Deutsch, um im nächsten März eine dreijährige Ausbildung an der privaten Bildungsstätte zu beginnen. Die Schule will mit der Initiative »Vietnam Projekt, neue Chance« künftig mehr junge Vietnamesen für den Beruf des Altenpflegers begeistern. Gemeinsam mit einer Partnerschule in Hanoi wird für eine Ausbildung in der sächsischen Landeshauptstadt geworben. Neben Sinh Nguyen bereiten sich derzeit auch 15 seiner Landsleute auf eine Ausbildung vor.

»Das Interesse ist groß«, sagt WBS-Schulleiter Wolfgang Hoops. Zunächst stehen Deutschkurse auf dem Programm, auch Bewerbungstrainings, interkultureller Unterricht und erste praktische Einblicke gehören dazu. Hoops will damit dringend gesuchte Fachkräfte für die Branche gewinnen. »Viele Praxisbetriebe gerade im Dresdner Umland finden keine geeigneten Auszubildenden in der Altenpflege«, sagt er. Zu ihnen vermittelt die Schule während der Ausbildung Kontakte, hilft beim Vermitteln von Praktika. Den Sprachkurs und die Ausbildung finanzieren die Schüler selbst - oft springen ihre Familien ein.

Nach Einschätzung der Landesarbeitsagentur gibt es landesweit einen Engpass an Pflegekräften. Im Juli 2015 wurden mehr als 600 freie Stellen in der ambulanten und stationären Pflege gemeldet. Dem stehen 167 arbeitslose Altenpfleger gegenüber. Damit kommen auf einen Bewerber mehr als drei freie Stellen. Es dauere immer länger, freie Stellen zu besetzen, erklärte ein Sprecher der Landesarbeitsagentur - im Schnitt etwa 100 Tage.

Im vergangenen Jahr waren laut Arbeitsagentur in Sachsen 31 640 Menschen als Helfer oder Fachkraft in der Altenpflege beschäftigt - 5,1 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Im Vorjahr kamen 343 Pfleger aus dem Ausland (1,1 Prozent) - nur fünf von ihnen aus Vietnam, die meisten aus Tschechien, Polen und Rumänien.

Auch der sächsische Pflegerat spricht von einem Mangel an Fachkräften. »Dieser ist vor allem in strukturschwachen Gebieten und außerhalb der Ballungszentren spürbar«, sagt der Vorsitzende Michael Junge. Den Einsatz ausländischer Pflegefachkräfte sieht er allerdings mit gemischten Gefühlen: Zwar könne dadurch »punktuell Entlastung« geschaffen werden, es ersetze aber nicht eine Gesamtstrategie für die pflegerische Versorgung in Sachsen. Dringender sei die Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Der Pflegerat fordert unter anderem mehr Personal sowie eine bessere Bezahlung. »Nur so wird es gelingen, einzelne ausländische Pflegefachkräfte auch auf Dauer in Sachsen zu halten und den Pflegeberuf für alle Interessenten attraktiv zu gestalten.«

Der Pflegebedarf wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen: Einer Studie der Bertelsmann Stiftung zufolge steigt das Durchschnittsalter. 2030 sind die Hälfte der Sachsen älter als 50,2 Jahre (2012: 48,2 Jahre).

Sinh Nguyen will nach seiner Ausbildung zunächst in Deutschland arbeiten. In ein paar Jahren, so hofft er, könne er dann ein privates Altenheim in seiner vietnamesischen Heimat eröffnen. Noch gibt es dort kein professionelles Pflegesystem. »Dort leben mehrere Generationen unter einem Dach, ältere Menschen werden von der Familie unterstützt«, erzählt der 27-Jährige.

Dass viele der vietnamesischen Schüler vorher etwas anderes als Altenpflege gemacht haben, sieht Schulleiter Hoops eher als Vorteil: Sie hätten Lebenserfahrung mit und zudem einen Heimatwechsel hinter sich. »Da bringen sie vielleicht mehr Empathie mit, während Junge manchmal überfordert sind.« dpa/nd

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