Kenianer können jetzt alles
Die unter massivem Dopingverdacht stehende Läufernation überragt bei der WM in Peking
Nicholas Bett sank nach seinem sensationellen Hürdensieg auf die Knie und dankte Gott, Weltrekordler David Rudisha tanzte nach dem 800-m-Triumph über die Tartanbahn: Kenia feiert bei der WM in Peking eine große Leichtathletikparty - allen Dopinganschuldigungen zum Trotz. »Ich bin so glücklich, die erste Medaille überhaupt für mein Land über 400 m Hürden gewonnen zu haben. Gott gibt mir mein Talent und diese Stärke«, sagte Bett nach seinem Wunderlauf mit Tränen in den Augen.
Nach vier Wettkampftagen führt Kenia mit viermal Gold, dreimal Silber und zweimal Bronze den Medaillenspiegel an. Ob allein Gott den auf einmal so vielseitigen Ostafrikanern Flügel verleiht, darf angesichts der jüngsten Enthüllungen allerdings bezweifelt werden.
Nie zuvor war ein Kenianer über die Hürdenrunde aufs Podium gelaufen, Bett zerlegte das Feld der arrivierten Nationen und schraubte seine Bestzeit um eine halbe Sekunde auf 47,79. 800-m-Olympiasieger Rudisha dominierte die kurze Mittelstrecke erneut nach Belieben, siegte in 1:45,84 Minuten und musste dabei noch nicht einmal derart zaubern wie bei seinem Weltrekordrennen bei den Olympischen Spielen in London (1:40,91).
Erst am Montag hatten die Kenianer über 3000 m Hindernis mit einem Vierfachsieg für Staunen gesorgt. Die 10 000 m der Frauen gewann am gleichen Abend Vivian Cheruiyot. Am Mittwoch kämpft außerdem noch Julius Yego um Gold - ein Speerwerfer! Kenianer, so auch die Botschaft des Verbands, können mittlerweile alles. Jener Verband, Kenia Athletics, steht allerdings massiv unter Druck. Seit 2012 wurden mehr als 30 Athleten wegen Dopings gesperrt.
Der Druck auf die Sportler ist enorm, da nur die besten zu lukrativen Meetings ins Ausland reisen dürfen. »Deshalb sind sie bereit, alles zu tun - auch zu dopen«, sagte Hindernislegende Moses Kiptanui. Den ersten Schock nach dem Debakel der besonders unter Verdacht stehenden Marathonläufer hat das Team längst verdaut, die WM könnte nun noch zum historischen Erfolg werden.
Doch auch am Dienstag sah sich das Land neuen Dopinganschuldigungen ausgesetzt. Wie die ARD berichtet, sollen Sportler dort vorab von Dopingkontrollen informiert worden sein. Zudem gibt es Vertuschungsvorwürfe. »Ich wurde nach meinem positiven Test immer wieder ins Büro des kenianischen Verbandes gebeten. Und die fragten mich dann, wie viel Geld ich habe, damit die Testergebnisse nicht öffentlich gemacht werden«, sagte Langstreckenläufer Ronald Kipchumba dem deutschen Fernsehsender. »Aber ich hatte das Geld nicht. Daraufhin haben sie mich nach Hause geschickt. Ich wurde gesperrt, denn ich hatte nicht bezahlt.«
Positiv getestete Spitzenathleten müssten laut Kipchumba »riesige Summen bezahlen, damit ihre Testergebnisse nicht bekannt werden«. Kenias Verband gab auf ARD-Anfrage keine Stellungnahme ab. Bereits in der Dokumentation »Geheimsache Doping, im Schattenreich der Leichtathletik« hatte es Anfang August massive Hinweise auf Doping im afrikanischen Land gegeben. Die Reportage zeigte damals, wie einfach Dopingmittel zu beschaffen seien.
Tests nach internationalem Standard müssen die Athleten daheim offenbar nicht fürchten. »Die Kontrolleure rufen dich vorher an und sagen dir, dass sie zu dir nach Hause kommen wollen. Und wenn du dann sagst, du bist nicht da, machen sie eine neue Verabredung mit dir für den Test«, sagte Frimin Kiplagat Kipchoge der ARD. Er war einst selbst Läufer und arbeitet mit dem kenianischen Verband zusammen. Unangemeldete Trainingskontrollen scheint es in Kenias Leichtathletik nicht zu geben.
Eigene Untersuchungen will die Welt-Antidoping-Agentur WADA im Land dennoch nicht einleiten. »Die kenianischen Behörden wissen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen«, sagte WADA-Präsident Craig Reedie. SID/nd
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