Gespielte Gelassenheit

Protest in Rot: 1. FC Union empfängt RB Leipzig

»Was, da kommt noch mehr?« Fast etwas verschreckt blickt Trainer Norbert Düwel zu Klubsprecher Christian Arbeit, der gerade von den geplanten Fanprotesten beim 1. FC Union Berlin im Heimspiel gegen RasenBallsport Leipzig erzählt. Die »Szene Köpenick« hatte alle Anhänger des Berliner Zweitligisten aufgerufen, am Freitagabend in einem »knalligen UnionROT« in die Alte Försterei zu kommen und in der ersten Viertelstunde des Spiels zu schweigen. »Aber das wird nicht alles sein«, kündigt Arbeit an.

Dem »Puh«, das Düwel scheinbar angespannt ausstößt, lässt er ein lockeres Zwinkern folgen. Natürlich steht für ihn als Trainer der sportliche Teil im Vordergrund. Aber selbst wenn der Bayer auch nach einem Jahr noch manchmal etwas fremd wirkt im Köpenicker Kiezklub, um die Bedeutung solch einer Partie für den 1. FC Union weiß er schon: »Klar, jeder weiß worum es hier geht. Natürlich ist es ein besonderes Spiel.«

Will man den Gästen aus Leipzig glauben, dann geht es für sie allein um die drei Punkte. An Proteste gegen das eigene Vereinsmodell sind sie seit ihrer Gründung durch »Red Bull« im Jahr 2009 gewöhnt. »Das interessiert uns alles nicht«, versucht Leipzigs Trainer Ralf Rangnick, gelassen auf die Ankündigungen aus der Hauptstadt zu reagieren. Dominik Kaiser ist da etwas anderer Meinung. Über die Anfeindungen verriet der Mittelfeldspieler in einem Vier-Augen-Gespräch in der vergangenen Saison einmal: »Das ist oft sogar zusätzliche Motivation für uns.«

Auch aus diesem Grund dürften vor allem die Leipziger Klubverantwortlichen um Ralf Rangnick froh sein, wenn das Spiel in Berlin abgepfiffen sein wird. Dann nämlich ist das Ende einer knüppelharten Woche für die Rasenballer erreicht. Sie begann mit dem Spiel gegen den FC St. Pauli, den anderen Kiezklub, der sich - wie der 1. FC Union Berlin - neben dem Kampf um Punkte auch jenen um den Erhalt der Fußballkultur auf die eigene Fahne geschrieben hat. Welche Probleme die beiden Vereine mit ihrem doppelten Kampf haben und wie viel dabei mehr gelebte Legende als praktizierte Realität ist, sei an dieser Stelle mal dahingestellt.

Gegen St. Pauli jedenfalls agierte die junge Leipziger Mannschaft derart übermotiviert, dass ihr schon nach einer halben Stunde sichtlich die Kraft gefehlt hatte. Das Spiel ging 0:1 verloren. Mit null Punkten verließ RB die Alte Försterei auch nach dem ersten Aufeinandertreffen mit dem 1. FC Union in der vergangenen Saison. Ganz so unbeeindruckt wie Rangnick das gerne hätte (»Das perlt an meiner Mannschaft ab«), sind seine Spieler von stärkerem Druck durch größere Proteste nicht. Und auch Rangnick selbst dürften solche Niederlagen etwas mehr schmerzen. Zumindest menschlich wäre es eine ganz normale Reaktion.

Den größten Druck aber haben sich die Leipziger vor dieser Saison selbst gemacht. Koste es, was es wolle: Ralf Rangnick will lieber heute als morgen aufsteigen. Deshalb entließ er Trainer Alexander Zorniger, der der Mannschaft etwas mehr Zeit geben wollte - für eine gesunde Entwicklung von Spielern und Gesamtgefüge. Noch als Sportdirektor kaufte Rangnick für 16 Millionen Euro ein und wirbelte das Team durch viele Neuzugänge erneut durcheinander. Mit diesem Problem muss er nun selbst fertig werden. Denn scheinbar hat er keinen besseren Trainer gefunden als sich selbst. Mehr Druck geht wohl nicht: für Rangnick selbst, seine Spieler - und auch das gesamte Red-Bull-Projekt.

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