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Lust im aufgeladenen Raum

»Der Hauptmann von Köpenick« in der JVA Heidering - Gespräch mit »aufBruch«-Regisseur Peter Atanassow

  • Lesedauer: 7 Min.

Peter Atanassow, Gefängnis ist strenge Struktur, ist Disziplin, ist feste Regel. Man ist mit Menschen konfrontiert, die darin geübt sind, sich zu verweigern.

Das finde ich als Gegenkraft zur allgemeinen Verhaltensregel toll, aber natürlich möchte ich als Regisseur nicht darunter leiden.

Es passiert trotzdem?

Ja, ständig. Auch wer seine Strafe einsieht und sich in die Struktur des Knastes fügt - er erlebt doch trotzdem Situationen, in denen er sich unverstanden fühlt, und also entwickelt er einen Reflex, sich gegen Autorität erst mal zu wehren.

Gefängnis besteht aus einem merkwürdigen Widerspruch: Es möchte Straffällige an den Punkt eines Anfangs führen, wo sie wieder alles gewinnen können an normalem Leben, aber es hat einen Sog, bei dem sich manche mehr denn je sagen: Ich habe nichts mehr zu verlieren.

Das ist die Grundstimmung, an die wir andocken. Immer mit der Gefahr, dass alles auseinanderfliegt.

Und das macht Spaß?

Ich verheimliche nicht die besonderen Probleme unserer sehr speziellen Theaterarbeit, aber ich gestatte mir mehr und mehr, sie als Vorzüge zu sehen.

Wer im Knastalltag eine hierarchische Präsenz hat, muss auch auf der Bühne wichtig sein?

In gewisser Weise ja. Wir wollen diesen sozialen Raum ja auch sichtbar machen, mit Theater. Der Knast ist eine Männerwelt, man steckt sein Territorium ab.

Beschreiben Sie die Freude, den Spaß, der alle Inszenierungen übersteht.

Schon die Annäherung aneinander ist bei jeder neuen Inszenierung eine Entdeckungsreise, eine Ausfahrt ins Unbekannte. Ist lustvolle Arbeit. Über ein Improvisationstraining und Sprechübungen versuche ich, einen Eindruck von den Spielern zu bekommen: Welchen Dialekt spricht jemand, wie verhält sich der Körper, worin liegt bei wem etwas Besonderes? Es findet dann, bei den Proben, keine Formung statt, keine Hinbiegung zu irgend etwas. Was ist, das ist.

Der professionellen Unfertigkeit gegenüber steht eine sehr spezielle Fertigkeit, die aus Grenzerfahrungen kommt.

Alle Spieler sind in besonderer Weise Experten des gestressten Lebens.

Und die Absicherungen und Vorsichtsmaßnahmen, die der Einzelne beim Spiel entwickelt oder beibehält?

Es kommt darauf, diese Dinge abzubauen, ohne den Spieler auszuliefern. Es ist schön, wenn der Spieler sich vergisst, wenn er für Bühnenmomente eine gewisse Schutzlosigkeit zulässt und in eine Aktion kommt, an der man ein gegenseitiges Vertrauen ablesen kann. Hier entsteht Lust.

Jede Ästhetik erzählt von den Bedingungen, unter denen sie entsteht.

Ja, eines erschafft das andere, aber eines kämpft auch gegen das andere.

Ihre Ästhetik ist in starkem Maße eine des klassischen Verses, des großen Dramas, der eingefügten lyrischen Kommentare. Was würden Sie als die Themen benennen, von denen Sie erzählen wollen, müssen?

Zum Beispiel der Bürgerkrieg. Die Not und die Kraft für Bündnisse - in einer Welt und in Verhältnissen, die auf die Auslöschung des Einzelnen hinarbeiten.

Wir leben nicht in Frieden, wir leben in Kollapsverzögerungen.

Ja. Das gute Gewissen der Menschen macht nur noch ächzende Geräusche. Heiner Müller sagte, wer in dieser Welt kein schlechtes Gewissen habe, besitze keines.

Ihr Theater ist Bekenntnis zum Gewicht, zur Wucht. Und zum Chor!

Dass Menschen ungefüge sind, wie es der Knast mit sich bringt - das erhebt den Chor zu einem Instrument der Bindung, der Konzentration.

Der Disziplinierung?

Gemeinsames Sprechen ist für mich etwas ganz Großes. Es beinhaltet auch jenes Element der Gewalt, das in Masse steckt - man spürt das bei Fußball-Chören. Masse ist etwas, das durch die Geschichte geht. Heere, Völkerwanderer, die Cliquen der Kader, das Heer der Arbeiter, die geschlossenen Reihen, der Strom der Flüchtlinge, die himmlischen Heerscharen, die Armeen der Toten. Da ist etwas, das uns aus der Geschichte anweht, auch aus der Zukunft. Denn wir sind die Toten von morgen.

Uniformiert der Chor?

Ich finde: im Gegenteil! Die Formung eines Ensemblekörpers mit Hilfe eines Chores bedeutet für den einzelnen Spieler: Er kann niemandem mehr etwas vormachen. Dein Nebenmann kriegt sofort mit, ob du den Text beherrschst oder nicht, ob du zu laut sprichst oder zu leise, im Rhythmus bist oder nicht. Gleichzeitig bist du ein Aufgefangener. Gesichter beim gemeinsamen Sprechen werden von zwanghafter Individualität frei - und dadurch sehr individuell in ihrer Wirkung. Wenn ich Chöre sehe, sehe ich Menschen bei der Arbeit zu, intensiv zu werden - das macht den Chor für mich zu einem schönen Bild.

Überspitzt gefragt: Begreifen die Spieler Kleist, wenn sie Kleist-Texte sprechen?

Mich fasziniert immer wieder, wie direkt unsere Spieler einen Vers nehmen. Es ist, als lernten sie eine Sprache. Unvoreingenommen, ja, auch frech, respektlos. Sie verbergen nicht die Distanz zwischen Dichtung und Alltagssprache. Alles ist frei von Lautmalerei und jenen Betonungen, die unbedingt richtig, also bedeutungsvoll sein wollen.

Je weiter ein Text von den Häftlingen weg ist, desto leichter der Zugang?

Erstaunlich: Dort, wo ein Text sich durchsetzen muss, wird er stärker.

Benutzen Sie Gefangene für das Theater?

Die Gefangenen sind uns wichtig - aber nicht, weil wir aus ihnen bessere Menschen machen wollen, sondern weil wir mit ihnen Theater spielen. Die Begegnung auf Augenhöhe ist entscheidend. Diese Art der Annäherung hebelt die jeweilige Bestrafungssituation aus.

Müssen Sie die Biografie Ihrer Spieler kennen, bevor die Proben beginnen?

Diese Biografie muss ich nicht kennen. Sie ist nicht Gegenstand der Arbeit. Gegenstand der Arbeit ist ein Stück, eine Aufführung, nicht eine Therapie. Es gibt einen Text, es gibt eine besondere Aura des Raumes, daraus entsteht etwas Drittes, das wir öffentlich machen. Bei der Arbeit mit professionellen Schauspielern weiß ich auch nicht, welchen Dreck dieser oder jener privat am Stecken hat.

Stadttheater oder Gefängnis, das ist doch aber ein Unterschied.

Dieser Raum Gefängnis widerspiegelt im Kleinen durchaus auch Welt. Denn: Es ist aufgeladener Raum, es ist ein Druck-Raum.

Also auch eine Bühne?

Ja. Man muss nur einen Innenhof im Gefängnis nehmen: Du gehst als Inhaftierter ins Freie - und zeigst dich. Du siehst die Mithäftlinge und übst dich in der Abschätzung von Gefahren, du studierst Gruppenbildungen. Du denkst vielleicht mehr als sonst über dein Leben nach, aber mehr als sonst auch ans Überleben.

Ihr Theater: ein Theater der Täter.

Ja und nein.

Warum nein?

Täter sind auch Opfer gewesen - die aber nicht zum Therapeuten, sondern in eine aggressive Offensive gingen.

Verstrickung bestimmt unser Leben. Das macht Schuld und Unschuld mitunter zu relativen Begriffen. Manchmal ist es nur Zufall, ob man verschont wird oder ins Verhängnis rutscht.

Kann man so sagen, ja.

Ich weiß, Sie würden gern Jean Genet inszenieren, zitieren Ihn mitunter in Ihren Inszenierungen. Ein Krimineller.

Sein Werk beteiligt sich nicht an der Lüge, den sogenannten normalen Bürger freizusprechen. In Genets Augen tut der Bürger das Böse, aber verheimlicht sich fortwährend. Gegen diese Verdrängung setzt dieser Schriftsteller etwas, das er »Luxus« nannte: das Böse ungeschönt und laut zu denken.

»aufBruch« arbeitet nahezu konkurrenzlos ...

Das stimmt nicht. Es existiert in Deutschland eine breitgefächerte Landschaft von Gefängnis-Theatern, in der Beobachtung, Erfahrungsaustausch und Kooperation stattfindet. Natürlich gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte, therapeutische, sozialhelferische ... Und was heißt: konkurrenzlos. Die Zuschauer, die zu unseren Aufführungen kommen, entscheiden sich gegen andere. Also: Wir stehen in Konkurrenz zu allen Berliner Theatern.

Am 9. September, 18 Uhr, hat in der Regie von Peter Atanassow »Der Hauptmann von Köpenick« nach Carl Zuckmayer Premiere - mit dem Gefangenenensemble der JVA Heidering in Großbeeren. Weitere Vorstellungen (ebenfalls 18 Uhr: 10., 11., 16. bis 18. September. Karten nur mit persönlicher Anmeldung bis spätestens fünf Tage vor der Vorstellung erhältlich. Personalausweis mitbringen! Karten: Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

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