Die SPD und die Orbáns aus Bayern
Mit Anti-Asyl-Rhetorik und demonstrativer Umarmung der ungarischen Regierung beschleunigt die CSU ihren Rechtskurs. Wacht die Gabriel-Partei noch auf?
Mehr Affront gegenüber der Kanzlerin geht nicht: Die CSU, von der man in Sachen demonstrative Abgrenzung zur CDU-Vorsitzenden einiges gewöhnt ist, lädt den Chef jener ungarischen Rechtsregierung zu ihrer Klausur ein, den Angela Merkel mit der Aufnahme von Flüchtlingen nach Deutschland gerade als das bloßgestellt hat, was Viktor Orbán ist: einer der derzeit gefährlichsten Punkte auf der europäischen Rechtsachse.
Diese Gefährlichkeit speist sich auch aus der Tatsache, dass das Regime in Budapest in einer konservativen europäischen »Normalität« eingebettet ist: Man gehört der selben Parteienfamilie an, man agiert auf der Augenhöhe anderer Regierungen, man kennt sich am Ende doch ganz gern - etwas, das die linke SYRIZA nie in Europa erwarten durfte. Dass die Orbán-Partei Fidesz schon in der Vergangenheit mehr als einen Anlass gegeben hatte, Bündnisse mit ihr wie etwa die Kooperation in der Europäischen Volkspartei aufzukündigen, blieb in der deutschen Union ohne große Reaktion. Darauf, dass die ungarische Rechtspartei nun ihren Rechtskurs beschleunigt, nimmt die CSU nun sogar zum Anlass, auf den Zug aufzuspringen.
Orbán hat jetzt angekündigt, den Krisenfall auszurufen, um dann jeden als illegal bezeichneten Flüchtling »sofort« zu verhaften. »Wir werden sie nicht mehr höflich begleiten wie bisher«, lautet die offene Drohung des Budapester Regierungschefs - eine Verhöhnung der Zufluchtsuchenden zudem, hatten die doch in den vergangenen Wochen von den ungarischen Behörden die Peitsche erhalten und nicht ein Zuckerbrot. Am Dienstag will Orbáns Kabinett über die Ausrufung des Krisenfalls entscheiden.
Der Fidesz-Mann spielt dabei nicht nur auf einer nationalistischen Klaviatur, die rhetorische Aggressivität der ungarischen Rechtsregierung wird auch von islamfeindlichen und kulturkämpferischen Tönen begleitet. »Durch Zuwanderung werden Muslime in absehbarer Zukunft in Europa in der Mehrheit sein. Wenn Europa einen Wettkampf der Kulturen zulässt, dann werden die Christen verlieren«, so Orbán.
Dass die CSU sich an diese ungarische Pegida-Variante anhängt, ist einerseits keine besondere Überraschung mehr, führt man sich die Versuche der bayerischen Partei vor Augen, auf dem rechten Rand um Zustimmung zu buhlen. Was CSU-Vertreter wie Markus Söder, Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich und andere zuletzt verlauteten, bezeugt eine Art fortschreitende Rechtsradikalisierung der Unions-Schwester. Die Einladung Orbáns zur Klausur und das demonstrative Einverständnis des EVP-Fraktionschefs Manfred Weber mit den neuesten Anti-Asyl-Vorschlägen aus Ungarn sind gewissermaßen die Geräusche, die bei dieser Verschiebung im Koordinatensystem entstehen.
Nun könnte man einerseits vermuten: Die CSU und Merkel spielen in der Asylpolitik »guter Bulle, böser Bulle« - während die Kanzlerin einer gesellschaftlichen Stimmung Ausdruck gibt, die als »Willkommenskultur« sich freilich erst noch durch Dauerhaftigkeit erweisen müsste, bespielt die CSU die rechte Flanke, auf dass nicht allzu viel Unionspotenzial zur Rechtspartei AfD oder zur NPD abbröckelt.
Damit aber könnte Merkels Position verkannt sein, deren taktierendes politisches Agieren zwar bekannt ist, die aber bei ihrer Abgrenzung nach rechts eher keine Spielchen zu machen bereit ist. Das Motiv dahinter ist durchaus standortnationalistisch, es geht Merkel zuvörderst darum, den gesellschaftlichen Normalvollzug zu gewährleisten - was auch heißen kann: die Folgen von Fluchtbewegungen kapitalistisch zu integrieren und die politische Position des Landes auf der internationalen Bühne nicht durch Hass-Rhetorik und Mordbrennerei »besorgte Bürger« zu gefährden.
Andererseits stellt sich die Frage der Reaktion durch die SPD. Der Koalitionspartner, dessen Vorsitzender in der Vergangenheit auf der Pegida-Flöte zu spielen wusste und sich nun zum Werbemaskottchen der »Willkommenskampagne« des langjährigen Anti-Asyl-Blattes »Bild« macht, hat auf die Rechtsbewegung der CSU bisher eher zurückhaltend reagiert. Zwar wurde hier und da ob der Attacken der bayerischen Orbáns gegen Merkel der Zeigefinger erhoben - Fraktionschef Thomas Oppermann sprach von »Kritik« und dass diese »unsachgemäß« sei, nicht weiterhelfe. Und SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi bat darum, jetzt kein »parteipolitisches Gezänk« zu veranstalten.
Dabei wäre das gerade jetzt nicht nur naheliegend, sondern politisch zumindest in dem Falle zwingend, wenn die SPD wirklich eine andere Asylpolitik verfolgen möchte, wenn sie in der Flüchtlingsfrage wirklich sozialdemokratisch dastehen will, wenn sie Glaubwürdigkeit für ihre politischen Äußerungen beanspruchen möchte.
Zahlreiche Abgeordnete der Partei haben, und es gibt keinen Grund, an der Aufrichtigkeit der Aktion zu zweifeln, gerade einen Appell unterzeichnet, in dem der Schutz von Flüchtlingen vor Verfolgung aber auch vor rassistischen Angriffen hierzulande und ein Ende der »Abschottungs- und Angstdebatten« gefordert wird.
Was die CSU macht, ist das genaue Gegenteil - die Abschottungs- und Angstrhetorik wird aggressiver, und das verbreitert den Boden, auf dem sich dann auch die rassistischen Angreifer und Brandstifter »im Recht« sehen.
Es geht aber für die SPD um mehr, als um eine deutlichere Abgrenzung von einem Koalitionspartner, der für Sozialdemokraten keiner sein dürfte. (Zumal sich die SPD einmal daran erinnern könnte, wie sie ganz aus dem Häuschen war, als SYRIZA in Athen mit der nationalistischen ANEL ein Bündnis schmiedete. Gilt das damals Gesagte nicht mehr?) »Es gibt kein Grundrecht auf ein besseres Leben«, hat Ungarns Rechtsaußen-Premier Orbán jetzt erklärt. Es ist dies als Absage an eine Flüchtlingspolitik gemeint, die in Europa eine Mehrheit haben könnte, wenn nicht diese verheerende Rücksicht gegenüber Rechtsregierungen vor allem in Osteuropa genommen würde, wie derzeit der Fall. Es ist aber auch eine Absage an einen sozialdemokratischen Grundwert. Wofür, wenn nicht für das Grundrecht auf ein besseres Leben hat die SPD in ihrer Geschichte gerungen oder dieses Ziel jedenfalls in ihre Programme geschrieben?
Die SPD wird sich entscheiden müssen, ob sie hier und da ein bisschen mosernd in einer Regierung bleiben möchte, in der ein Teil sich offenbar entschieden hat, auf eine europäische Achse der Rechten zu setzen.
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