Was bringt denn ein Denkmal?
Erinnern an Nazi-Morde muss über das Aufstellen von Mahnmalen hinausgehen
Zwei brachiale Betonbänke stehen sich versetzt gegenüber. Inschriften - windelweich formuliert - auf der einen in türkischer auf der anderen in deutscher Sprache erinnern an die Ermordung von Mehmet Turgut. Sie stehen im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel, dort wo am 25. Februar 2004 der Imbisswagen stand, in dem Mehmet Turgut von Mitglieder des NSU-Terrortrios ermordet wurde.
Das Denkmal ist umstritten, allein schon, weil die Bänke an den Seiten mit Transportösen versehen sind, bei Bedarf also demontiert werden können. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, das Minimum an Erinnern, das in der Rostocker Bürgerschaft und den Ortsbeiräten durchsetzbar war. Das Denkmal soll zum »leisen Dialog und zu Begegnungen« einladen, erklärte der Rostocker Oberbürgermeister bei der Einweihung. Seither ließe er sich bei den Mahnwachen zum Jahrestag nicht mehr blicken, erzählt ein Vertreter der Initiative »Mord verjährt nicht!« in seinem Vortrag am Wochenende beim »Gedenkkongress 2015« in Leipzig.
Der Versuch der Initiative, die Straße, in der die Imbissbude stand, in Mehmet-Turgut-Weg umzubenennen, scheiterte 2012 am Widerstand des zuständigen Ortsbeirats mit der zweifelhaften Begründung, man wollte keinen Wallfahrtsort für Rechte. Letztes Jahr haben nachts unbekannte etwa 30 Straßenschilder in Rostock mit dem Schriftzug »Mehmet-Turgut-Straße« beklebt. Die Kripo ermittelt wegen Sachbeschädigung.
Wie der Rostocker Initiative geht es vielen Gruppen aus dem Antifa- und Antira-Umfeld, die sich am vergangenen Wochenende in Leipzig unter dem Titel: »NSU-Gedenken im Kontext bisheriger Gedenk- und Erinnerungspolitik nichtstaatlicher Gruppen an rechte Morde und Gewalttaten« getroffen haben. Sie kämpfen für das Erinnern, einen öffentlichen Umgang und gesellschaftliche Konsequenzen, die aus rechten Morden und Gewalttaten gezogen werden müssen. Wenn sie Glück haben, wird irgendwann ein Denkmal gebaut.
Was bringt das? Diese Frage zieht sich durch den gesamten Kongress und wurde von den Mitorganisatoren »Pogrom 91« aus Hoyerswerda in einer Diskussionsveranstaltung aufgeworfen. 23 Jahre nach den Exzessen gegen ausländische Bewohner wurde im vergangenen Jahr nun ein großes Denkmal eingeweiht: »Hoyerswerda vergisst nicht - wir erinnern« und »Herbst 1991« steht drauf. Wer was nicht vergisst, bleibt unklar. Abstrus auch der Titel des Granitrahmens in den ein Regenbogen eingelassen ist »Offene Tür, offenes Tor«. Es soll an rassistische Ausschreitungen erinnern und tut es nicht. Ein Dilemma für die »Initiative Pogrom 91«, sie hatte jahrelang ein Denkmal gefordert und sie gehört zu den wenigen, die sich kritisch und ausführlich mit den Vorfällen im Jahr 1991 und die gegenwärtige Dominanz von Neonazis in der Stadt auseinandersetzen.
Offizielles Erinnern, da ist sich der Großteil der Kongressbesucher und Veranstalter einig, ist häufig nicht mehr als eine unvermeidbare Geste der gesellschaftlichen Selbstentlastung. Ein Signal nach außen. Ein Ja-Ja wissen wir doch.
Es braucht ein aktives, nichtstaatliches Erinnern, auch da sind sich alle einig. Und Erinnerung soll mehr als eine rückwärtsgewandte Haltung sein, die an der Vergangenheit klebt. Erinnern heißt Fragen stellen. Gerade die NSU-Morde hätten gezeigt wie wichtig die Recherchearbeit antifaschistischer Gruppen ist, sagt ein Vertreter der »Initiative in Gedenken an Dieter Eich«, ein von Nazis ermordeter Sozialhilfeempfänger. »In einem Land, in dem Akten geschreddert werden, sind antifaschistische Archive unerlässlich.«
Viele Initiativen beschäftigen sich mit den »verschwiegenen Toten« rechter Gewalt. Die Antifa Saar kämpft um die Aufklärung des Mordes an Samuel Yeboah, der im Dezember 2013 bei einem nicht aufgeklärten Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft ums Leben kam. Eine Berliner Initiative fordert die Aufklärung des Mordes an Burak B., ein Jugendlicher, der 2012 in Berlin-Neukölln erschossen wurde.
Bei einer Diskussion wird es plötzlich laut, die Antifa würde sich mal wieder selbst abfeiern, die migrantische Perspektive bleiben außen vor. »Die Angehörigen haben das Recht an Gedenkinitiativen mitzuwirken.« Betroffenheit macht sich breit, man habe das ja versucht, erklären die Veranstalter. Doch tatsächlich bleibt es ein Merkmal dieses Kongresses: Erinnerung ist weiß. Positionen, Fragen und Ängste von Migranten, die in diesem Deutschland leben, wo unzählbare Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte verübt werden, sind ein blinder Fleck. Und das liegt sicher nicht daran dass es in migrantischen Communities keine Auseinandersetzung geben würde. Doch offensichtlich reden diese beiden Diskurse aneinander vorbei. So als würden sie auf den Mehmet-Turgut-Bänken in Rostock sitzen, die sich versetzt gegenüber stehen.
Das Aktionsbündnis »NSU-Komplex auflösen« hat sich vorgenommen das zu ändern. Der bundesweite Zusammenschluss von Gruppen und Initiativen, will sich mit der Aufarbeitung des NSU, der Erinnerung an die Opfer seiner Gewalttaten, der Begleitung der Betroffenen und der Rolle von Staat und Gesellschaft auseinandersetzen. In einem inszenierten Tribunal, das vorläufig für Ende 2016 in Köln angesetzt ist. Es will den institutionalisierten Rassismus anklagen, seine Akteure und sein Strukturen benennen. Kläger soll weder der Staat, noch irgendwelche Stellvertreter sein, sondern Angehörige die bisher nicht zu Wort kamen und, so eine Vertreterin des Bündnisses, auch im NSU-Prozess zum schweigen gebracht wurden. Ein vielversprechendes Projekt das eines der bedeutendsten Erinnerungs und Verarbeitungsprozesse im Zusammenhang mit dem NSU werden könnte.
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