Ohne Lehman hätte es auch gekracht
Ökonom Helge Peukert über prozyklische Finanzmärkte, schwache Regulierung und geldpolitische Alternativen
Die Pleite der 150 Jahre alten US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 schockte die Finanzmärkte. War Sie wirklich Auslöser der großen globalen Finanzkrise, wie wir immer wieder von Ökonomen und Politikern hören?
Nein, das war sie natürlich nicht. Das wird von denen behauptet, die an effiziente Märkte glauben und nicht regulieren wollen. Dass man eine Bank - eine Schattenbank übrigens - pleite gehen ließ, passte nicht jedem. Wir hatten vorher Deregulierung, wir hatten eine unglaubliche Verschuldung sowohl der Privaten wie der Staaten. Die angebliche Selbstregulierung der Märkte, die »unsichtbare Hand des Marktes«, hat sich in der Praxis als schlechter Witz erwiesen. Ohne Lehman hätte es auch gekracht.
Lehman-Pleite und Finanzkrise führten zu Dutzenden Regulierungsversuchen wie »Basel III«, Finanztransaktionssteuer, europäische Bankenaufsicht. Wie weit sind die Reformen in Europa und den USA bis heute gekommen?
Die Reformen sind sehr, sehr halbherzig. Sie folgen dem Motto: allen wohl und keinem weh. Europas Bankenunion ist im Grunde ein Witz: Es glaubt ja wohl keiner im Ernst, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Deutsche Bank pleite gehen lassen würde.
Als die US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 zusammenbrach, war dies nur ein weiterer Höhepunkt einer seit Monaten schwelenden Finanzmarktkrise. Vorausgegangen war das Platzen einer Blase am aufgeblähten US-Immobilienmarkt. Banken hatten in großem Umfang Hypothekenkredite an eigentlich nicht kreditwürdige Personen vergeben, die dann zahlungsunfähig wurden. Zu einer Krise wuchs sich dieses eigentlich begrenzte Ereignis dadurch aus, dass die Darlehen in undurchsichtige Wertpapiere verpackt und mehrfach an andere Banken rund um den Globus weiterverkauft worden waren. Da niemand wusste, wie hoch die Risiken und Verluste tatsächlich waren, entstand eine große Unsicherheit unter den Finanzakteuren. Vor allem nach dem Lehman-Schock liehen sich Banken gegenseitig kein Geld mehr, da sie nicht wussten, ob sie es wiedersehen würden. Damit drohte der gesamte Geldkreislauf zu stocken. Bereits am 17. September 2008 pumpten daher die wichtigsten Zentralbanken in einer bis dato einmaligen konzertierten Aktion riesige Summen in den Markt. Der Auftakt einer extrem lockeren Geldpolitik, die bis heute anhält. nd
Das schönste Beispiel ist die leidige Diskussion um die Finanztransaktionssteuer. Da wollen in diesem Fall die Franzosen die »Marktmacher« ausnehmen - und damit ist die Steuer praktisch vom Tisch und es bleibt nicht mehr übrig als die frühere harmlose Börsenumsatzsteuer.
Unterm Strich heißt das ..
... wir sind nicht allzu weit gekommen. Es sind ja nicht allein die Linken, die vor dem nächsten Crash warnen. Die großen Warner sind eher konservative Marktliberale.
Axel Troost, Finanzpolitiker der LINKEN, sieht in der G20 eine Politik des »kleinsten gemeinsamen Nenners« am Werk.
Axel Troost, den ich sehr schätze, ist ein zurückhaltender Mensch. Ich hätte wohl gesagt, der »allerkleinste« gemeinsame Nenner.
Die Finanzmarktreformen unterstellen zu stark eine grundsätzliche Rationalität der Finanzmärkte. Die einzige Rationalität, die Banken verstehen, ist, um mit Rudolf Hickel zu sprechen, »das Profitmotiv«.
Das sehe ich genauso. Es gibt ja in diesem Punkt vernünftige Leute wie Hans-Werner Sinn oder Martin Hellwig, Präsident des Max-Planck-Instituts in Bonn, die für deutlich höheres Eigenkapital sind. Doch das reicht nicht. Auch, weil Finanzmärkte pro-zyklisch sind. Sie führen zu wechselnden Zuständen von Optimismus und Pessimismus, zu Gier und Angst. Höheres Eigenkapital und die Hoffnung auf entsprechendes Eigeninteresse reichen daher nicht aus.
Fazit: Die Triebkräfte für hochriskante Geschäfte sind ungebrochen. Was auch der jüngste Quartalsbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) nahelegt.
Zweifellos. Dabei ist die BIZ eigentlich eine sehr marktliberale, konservative Einrichtung. Was für die Zen-tralbank der Zentralbanken eigentlich verwunderlich ist: Sie kritisiert beispielsweise auch die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und von »Super-Mario« Draghi. Der nun die gleiche Politik betreibt wie früher Fed-Chef Alan Greenspan.
Der mit niedrigen Leitzinsen Spekulationsblasen und den Crash 2007/2008 vorbereitet hatte. Wie sehen Ihre geldpolitischen Alternativen aus?
Ich wäre für Vollgeld - die Geldschöpfung durch die Banken wäre dann eingeschränkt und würde wieder ganz vom Staat oder einer unabhängigen Zentralbank übernommen. Die Großbanken müssten zerschlagen, verkleinert werden. Weil sie jetzt zu groß sind, würde sie kein Politiker pleite gehen lassen. Zudem müsste es klare Verbote geben, etwa von Leerverkäufen. Und eine Finanztransaktionssteuer würde stabilisierend wirken, weil sie den Hochfrequenzhandel bremst. Einfache Sachen, die man innerhalb von zwei Tagen beschließen könnte. Leider haben wir das nach einem halben Jahrzehnt immer noch nicht hingekriegt.
Und es fehlt an Kontrolle - die Aufsichtsbehörden sind angesichts der gigantischen Aufgabe, vor der sie auf globalen Finanzmärkten stehen, bestenfalls Scheinriesen.
Eine gewisse Kontrolle findet jetzt aber statt, etwa über die Europäische Zentralbank. Angesichts der Undurchschaubarkeit von Großbanken, Derivaten und so weiter tut mir allerdings selbst der beste Regulator leid. Man kann zurzeit überhaupt keinen Überblick über diese überkomplexen Finanzmärkte haben.
Ihr Netzwerk wirft dem Verein für Socialpolitik, der einflussreichsten Ökonomenvereinigung im deutschen Sprachraum, eine verengte Sicht vor. Er beschränke sich auf nur einen schmalen Mainstream. Was heißt das heruntergebrochen auf Lehman-Pleite und Finanzkrise?
Als wir vor zwei, drei Jahren dem Verein für Socialpolitik einen namhaften Referenten empfahlen, um radikalere Finanzmarktreformen vorzustellen, wurde das abgelehnt. Der Verein ist viel zu zahm. Und viele wissenschaftliche Richtungen lässt er überhaupt nicht zu Wort kommen. Dazu gehören die Österreicher, vor allem Postkeynesianer, Marxisten, Sozioökonomen und, und, und.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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