Profittransfer nach Delaware

Gewerkschafter wollen Unternehmenssteueroasen trockenlegen

  • Marc Engelhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei einem internationalen Steuergipfel in Genf wurde der Grundstein für eine weltweite Kampagne gegen Unternehmen gelegt, die ihre Gewinne in Gebiete mit niedrigen Steuern verschieben.

Genf. Es ist ein Beispiel, das den versammelten Gewerkschaftern einen Eindruck davon gibt, was für eine Mammutaufgabe sie sich gestellt haben. Zum Auftakt des zweitätigen Gipfels zu Unternehmenssteuerfragen, der im Gebäude der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf stattfand, wurde eine Studie über Chevron, einen der größten Ölkonzerne der Welt, vorgestellt. 197 Milliarden US-Dollar ist das Unternehmen an der Börse wert. In Australien, wo Chevron in Flüssiggas investiert, seien die Betriebsgewinne seit 2011 um 15 Prozent gestiegen, sagte Jason Ward, einer der Autoren der Studie, welche die Internationale Transportarbeiterföderation gemeinsam mit dem Netzwerk für Steuergerechtigkeit erstellt hat. Trotzdem mache Chevron offiziell Verluste. Und das geht Ward zufolge so: 2009 sei ein Kreditrahmen zwischen der Chevron in Australien und einer Tochterfirma in der US-Steueroase Delaware in Höhe von 35 Milliarden US-Dollar geschaffen worden. Inzwischen zahle Chevron Australien auf diesen Riesenbetrag jährlich 62 Prozent Zinsen. So fließt der Gewinn ins Steuerparadies ab. »2014 lagen die Zinsaufwendungen von Chevron Australien bei mehr als dem Fünffachen des Profits«, so Ward. »Zu argumentieren, dass dahinter nicht die Absicht liegt, den Gewinn zu senken und Steuern in Australien zu umgehen, dürfte schwer fallen.«

Für Rosa Pavanelli, Generalsekretärin der Internationale der Öffentlichen Dienste, die den Steuergipfel in Genf veranstaltet, ist der Fall Chevron einer von vielen. Multinationale Unternehmen nutzen ihr zufolge ein Steuerrecht aus, das in seinen Grundzügen fast 100 Jahre alt ist. »Da haben wir Staaten, die sagen, dass sie sich Bildung und andere öffentliche Aufgaben nicht mehr leisten können - und auf der anderen Seite Unternehmen, die sich ihrer Pflicht entziehen, Steuern zu zahlen«, so Pavanelli. Gerade Arbeiter und Angestellte trügen die Folgen.

Das sieht auch Ralf Krämer so: »Es gibt Schätzungen, nach denen alleine dem deutschen Staat 50 Milliarden Euro pro Jahr an Steuern verloren gehen, die er eigentlich erhalten müsste«, erklärt der ver.di-Gewerkschaftssekretär. »Weil dieses Geld fehlt, um öffentliche Einrichtungen zu betreiben, gehen Arbeitsplätze verloren.« Dabei gebe es Krämer zufolge Stellen, die sich sofort rentieren würden: »Wir fordern schon lange mehr Beschäftigte im Steuervollzug. Große Unternehmen werden wegen des Personalmangels oft von Einzelpersonen geprüft, was unzureichend ist, und viele Mittelständler müssen nur alle 40, 50 Jahre mal mit einer Steuerprüfung rechnen - wenn überhaupt.« Auch deshalb seien die Steuerbehörden internationalen Konzernen, die ganze Anwaltskanzleien mit der Konstruktion ihrer Steuerstrategie beschäftigen, hoffnungslos unterlegen.

Dieses Problem hat selbst die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erkannt. Vor zwei Jahren listete der Industrieländerclub Kernnormen des Steuersystems auf. Die OECD möchte schädliche Steuerpraktiken, wie sie die legale Hinterziehung der Millionengewinne nennt, künftig vermeiden: »Aus Abkommen, die Doppelbesteuerung vermeiden sollen, dürfen keine Abkommen werden, die Nullbesteuerung erreichen«, forderte der OECD-Experte Raffaele Russo bei der Gewerkschaftertagung in Genf. Künftig sollten sich Staaten gegenseitig überprüfen.

Doch Rosa Pavanelli reicht das nicht: »Solange die Daten für diese Überprüfung nicht öffentlich gemacht werden, haben wir keine Transparenz.« Überhaupt traut sie der OECD nicht zu, eine faire globale Steuerpolitik zu machen. »In den Entwicklungsländern profitieren doch Firmen aus OECD-Staaten davon, dass dort keine Steuern gezahlt werden«, kritisiert Pavanelli. Das Treffen der Gewerkschafter war für sie deshalb nur der Anfang einer Reformanstrengung, die von unten kommen muss: »Wir müssen unseren Einfluss als Beschäftigte geltend machen, nur dann können wir Firmen wie Chevron in die Schranken weisen.«

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