Frontex wirkt auch im Hintergrund
Agentur zwischen Grenzschutz, Rettung Schiffbrüchiger und Informationsverbreitung
Lesbos. Die Stimmung ist gelöst; es sei ein erfolgreicher Tag gewesen, sagt Javier. Ein Spanier und seine Kollegen aus Polen und den Niederlanden stimmen zu. Mehr als 200 Migranten habe man allein vor der griechischen Insel Lesbos aus dem Meer gerettet, erzählen die Grenzschützer, die in der Region im Auftrag von Frontex unterwegs sind.
Solche Kontakte sind selten. Bei der europäischen Grenzschutzagentur lässt man sich nicht gern in die Karten schauen. »Wir geben grundsätzlich keine Informationen über Strategien oder Ausrüstung heraus«, sagt ein Sprecher der Zentrale in Warschau. Damit wolle man verhindern, dass Schlepper ihr Handeln anpassen.
Doch im Frontex-Büro im griechischen Piräus gibt man unumwunden zu, dass man die Öffentlichkeit auch scheut, weil man ein Imageproblem hat. Wenn Flüchtlinge in kaum seetüchtigen Kähnen ihren Weg über das Meer suchen, über Zäune klettern oder mit Tränengas abgewehrt werden, sind im Hintergrund auch Mitarbeiter von Frontex im Einsatz.
Über ein recht dichtes Netz an Überwachungstechnologie entlang der Außengrenze des Schengen-Raums sammelt die Organisation Informationen über Menschen, die versuchen, über Grenzen zu gelangen. Diese Informationen werden an die einzelnen Staaten weitergegeben. Laut Eigendarstellung werden auch Teams vor Ort entsandt, die Genzschutzbehörden unterstützen sollen.
Man halte sich strikt an den Auftrag, stelle sicher, dass die Menschenrechte eingehalten werden, sagt der Frontex-Sprecher in Warschau. Doch was mit Informationen von Frontex geschieht, kann auch er nicht genau sagen - das sei Sache der Einzelstaaten. So bildet Frontex-Wissen auch die Basis für das Vorgehen der ungarischen Regierung gegen Flüchtlinge. Vor Ort kommen im Rahmen der Frontex-Mission zudem deutsche Bundespolizisten zum Einsatz, wie aus der Antwort des Innenministeriums auf eine kleine Anfrage von Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, hervorgeht. Aufgabe der Bundespolizisten sei es, die ungarischen Behörden mit Fachwissen, unter anderem in der Bekämpfung illegaler Migration, zu unterstützen.
Die Frontex-Mitarbeiter auf Lesbos haben dafür ihre eigene Sprache. Flüchtlinge sind »Migranten«, auf See wird nicht abgefangen, sondern »gerettet« - und zwar vor skrupellosen Schleppern, die Flüchtlinge mit vorgehaltener Waffe in nicht seetaugliche Boote zwingen. Scharfe Kritik übt man an der griechischen Regierung: »Wenn die örtliche Küstenwache ihren Job machen würde, müssten wir nicht hier sein«, sagt Frontex-Mann Javier.
Doch das sah - bis in Athen Syriza an die Macht kam - so aus: Flüchtlingsboote wurden von der griechischen Küstenwache in türkische Gewässer zurückgeschleppt. Wie Menschenrechtsorganisationen berichten, seien den Flüchtlingen oft Benzin und Ruder weggenommen worden. Die Einsätze der Griechen basierten auch damals häufig auf Informationen von Frontex.
Dort heißt es, man halte sich strikt an die Vorgaben der europäischen Menschenrechtskonvention und des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Der hatte 2012 entschieden, dass Flüchtlinge auch auf hoher See registriert werden müssen. Jeder Fall sei einzeln zu prüfen.
Doch die griechischen Regierungen stellten sich auf den Standpunkt, dass die Flüchtlinge nie das Gebiet der Europäischen Union erreichten, so lange sie nicht auf ein Schiff unter europäischer Flagge aufgenommen werden oder an der Landgrenze griechischen Boden betreten. Das Urteil greife also nicht. Erst unter Syriza wurde diese Haltung aufgegeben.
Die Folgen wirken nach: Die Frontex-Mission »Poseidon Land« wurde ins Leben gerufen, um die griechisch-türkische Landgrenze abzuschotten. Die Flüchtlinge wichen aufs Meer aus, zerstörten ihre Boote, um von einem Schiff von Frontex oder der Küstenwache aufgenommen zu werden. Dann befinden sie sich mit Sicherheit auf europäischem Boden.
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