EU-Flüchtlingsgipfel: Geld und Grenzschutz
EU stellt mehr Geld für Frontex und UNHCR-Hilfe bereit / Flüchtlings-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Nachmittag /Tschechien verzichtet auf Klage gegen Flüchtlingsquote / Rumänische Staatschef kritisiert Mehrheitsbeschluss
Update 19.30 Uhr: EU-Gipfel berät über Hilfsgelder und Grenzschutz
Die Europäische Union will ihre Finanzhilfen für die Versorgung von Flüchtlingen in Krisengebieten deutlich aufstocken. Auf diese Weise lasse sich die aktuelle Situation zumindest lindern, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Mittwoch während eines Sondergipfels der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Die Spitzenpolitiker der 28 Staaten debattierten über den Entwurf einer Erklärung, in der auf die «drängendsten Bedürfnisse der Flüchtinge» verwiesen wird. Demnach will die EU mindestens eine Milliarde Euro für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, das Welternährungsprogramm und andere Einrichtungen zur Verfügung stellen.
Zudem sind weitere Hilfen für einzelne Länder wie etwa den Libanon, Jordanien und die Türkei geplant. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zum Auftakt des Gipfels ebenfalls mehr Hilfsgelder angemahnt und sich dabei auch selbstkritisch gezeigt. «Hier haben wir alle miteinander, und ich schließe mich da auch ein, nicht gesehen, dass die internationalen Programme nicht ausreichend finanziert sind. Dass Menschen hungern in den Flüchtlingslagern, dass die Lebensmittelrationen gekürzt wurden.» Deutschland werde seinen Anteil an zusätzlichen Hilfen tragen, sagte Merkel.
Die Kanzlerin und Tusk unterstrichen auch, dass die EU stärker als bisher auf die Sicherung ihrer Außengrenzen achten müsse. «Wir sprechen von Millionen potenzieller Flüchtlinge, die Europa zu erreichen versuchen», sagte Tusk. Merkel pochte auf eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa und auf die Einrichtung von Registrierzentren in EU-Ländern mit Außengrenze. Es wäre «ganz falsch», wenn Europa nun sagen würde, dass es mit den Aufgaben nicht fertig würde, hob sie hervor. «Deshalb sage ich immer wieder, wir schaffen das.»
Update 17.00 Uhr: Tusks Appell vor Krisengipfel: Streit um Verteilung von Flüchtlingen beenden
Unmittelbar vor dem Brüsseler Flüchtlingsgipfel hat EU-Ratspräsident Donald Tusk die Mitgliedstaaten in einem dramatischen Appell zur Geschlossenheit aufgerufen. «Wir sind nun an einem entscheidenden Punkt angelangt, an dem wir den Ablauf von gegenseitigen Beschuldigungen und Missverständnissen beenden müssen», sagte der Gipfelchef am Mittwoch in Brüssel. Es müsse über Fakten gesprochen werden, nicht über Illusionen und Emotionen.
Mittel- und osteuropäische Staaten hatten empört darauf reagiert, dass sie am Dienstag beim EU-Innenminister-Treffen zur Flüchtlingsverteilung überstimmt wurden.
Tusk sagte, die wichtigste Frage sei nun, die Kontrolle über die Außengrenzen der EU zurückzugewinnen. Es gebe mehrere Millionen potenzielle Flüchtlinge in der Nahostregion, die nach Europa kommen könnten. Der Beschluss der Innenminister zur Verteilung von 120 000 Flüchtlingen sei besser als nichts. «Niemand wird überstimmt werden», sagte Tusk mit Blick auf den Gipfel.
Update 16.20 Uhr: EVP-Vorsitzende fordert mehr Grenzkontrollen
Der Fraktionsvorsitzende der konservativen EVP im Europaparlament, Manfred Weber, fordert vom EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise ein Signal der Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit. «Nach den Monaten des Durcheinanders brauchen wir ein Signal: Europa kann handeln, kann diese Aufgabe meistern», sagte der CSU-Politiker am Mittwochnachmittag in Brüssel.
Eine effektive Kontrolle der EU-Außengrenzen finde nicht statt, sagte Weber. «Deshalb müssen wir wieder zurückkehren zu Recht und Ordnung in dieser Europäischen Union, und das heißt auch, dass Grenzen gesichert werden müssen.»
Der Umgang mit Flüchtlingen müsse humanitär gestaltet werden. Zugleich müssten diese aber auch mit den Behörden kooperieren und könnten sich ihr Zielland nicht aussuchen, sagte der CSU-Politiker vor einem Treffen der konservativen EVP. Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban müsse daran erinnert werden, dass er an seiner Außengrenze humanitäre Mindeststandards einzuhalten habe. Orban stelle aber Fragen, die man seriös beantworten müsse.
Zur Mehrheitsentscheidung der EU-Innenminister über die Verteilung von Flüchtlingen am Vortag sagte Weber, er könne die Aufregung der überstimmten Mitgliedsländer «in keiner Weise verstehen».
Update 15.15 Uhr: EU stellt mehr Geld für Frontex und UNHCR-Hilfe bereit
Die EU-Kommission will in der Flüchtlingskrise weitere 1,7 Milliarden Euro bereitstellen. Die Mittel sollen für dieses und das kommende Jahr zur Verfügung stehen und insbesondere der besseren Versorgung von Flüchtlingen aus Syrien zugute kommen, wie EU-Haushaltskommissarin Kristalina Georgieva kurz vor dem EU-Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage in Brüssel sagte. Damit soll die Summe für die Flüchtlingshilfe in diesem Zeitraum auf insgesamt 9,2 Milliarden Euro steigen.
Die 1,7 Milliarden Euro setzten sich aus mehreren Posten zusammen, wie die Kommission mitteilte. Sie will kommende Woche weitere 100 Millionen Euro Nothilfen für die am stärksten betroffenen EU-Mitgliedstaaten beschließen. Für die EU-Grenzagentur Frontex, die Asylbehörde Easo und die Polizeibehörde Europol werden zusätzlich 1,3 Millionen Euro für dieses Jahr bereitgestellt, um 120 Stellen zu schaffen. Außerdem werden ihre Nothilfekapazitäten für 2016 um 600 Millionen Euro aufgestockt.
Zudem will die Kommission noch dieses Jahr 200 Millionen Euro für das Welternährungsprogramm und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bereitstellen, damit Flüchtlinge in Lagern rund um Krisengebiete wie Syrien wieder besser versorgt werden können und sich nicht auf den Weg nach Europa machen.
Weitere 300 Millionen Euro sind 2016 für grundlegende Bedürfnisse von Flüchtlingen wie Nahrungsmittel und Unterbringung vorgesehen. Über die EU-Nachbarschaftspolitik kommen nochmals 500 Millionen Euro für 2015 hinzu, die insbesondere Ländern rund um Syrien mit hohen Flüchtlingszahlen wie Libanon und Jordanien zugute kommen sollen.
Update 15.00 Uhr: Asselborn mahnt Slowakei zur Einhaltung des EU-Beschlusses
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat im Streit um die Verteilung von Flüchtlingen in der EU die Slowakei davor gewarnt, den Mehrheitsbeschluss der Innenminister zu missachten. «Das ist ein legislativer Akt für die EU, der auf nationaler Ebene umgesetzt werden muss», sagte Asselborn dem «Tagesspiegel» (Donnerstagausgabe) mit Blick auf die Entscheidung der Innenminister. «Dies gilt für Luxemburg genauso wie für Deutschland oder die Slowakei.» Die Slowakei will nach den Worten von Regierungschef Robert Fico gegen den Beschluss der EU-Innenminister vom Dienstagabend beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen und ihn nicht umsetzen.
Update 12.20 Uhr: Rumäniens Staatschef kritisiert EU-Beschluss zu Flüchtlingsquoten Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis hat das Votum der EU-Innenminister zur Verteilung der Flüchtlinge nach Quoten kritisiert. «Ich glaube nicht, dass verpflichtende Quoten, die durch Abstimmung festgelegt wurden, das Problem lösen. Diese mathematische Aufteilung lässt sehr wichtige Faktoren unberücksichtigt», sagte Iohannis am Mittwoch in Bukarest vor dem Abflug zum Brüsseler EU-Gipfeltreffen. «Wir bedauern und ich bedauere, dass diese Entscheidungen durch eine Mehrheitsabstimmung getroffen wurden und nicht durch Konsens, nach Verhandlungen», sagte Iohannis weiter. Rumänien müsste nach der Entscheidung der EU-Innenminister zusätzlich 2475 Flüchtlinge und damit insgesamt 4837 aufnehmen. Rumäniens Regierung hatte hingegen erklärt, nicht mehr als 1785 Flüchtlinge aufnehmen zu können.
Update 12.10 Uhr: Tschechien verzichtet auf Klage gegen Flüchtlingsquote
Tschechien wird nun doch nicht vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die EU-Flüchtlingsquoten klagen. Ministerpräsident Bohuslav Sobotka betonte am Mittwoch in Prag, Europa dürfe bei der Lösung der aktuellen Krise nicht zerfallen. «Ich möchte daher die Spannungen mit Klagen nicht weiter steigern», sagte der Sozialdemokrat. Die EU-Innenminister hatten am Dienstag die Umverteilung von 120 000 Flüchtlingen in Europa beschlossen und dabei die Quotengegner Tschechien, Slowakei, Ungarn und Rumänien überstimmt. Sobotka fügte hinzu: «Es erwarten uns weitere Kämpfe für ein realistisches Vorgehen in der Migrationskrise und es ist wichtig, dass unsere Argumente gehört werden.» Mit einer Klage hatte zuletzt Pavel Belobradek, der Vorsitzende des christdemokratischen Juniorpartners in Prag, gedroht. «Sollen wir die Flüchtlinge etwa in umzäunte Lager sperren und nicht rauslassen, nur weil sie sofort nach Deutschland abhauen würden», sagte der Vizeregierungschef in diesem Zusammenhang der Zeitung «Pravo».
Update 12.00 Uhr: Polnische Opposition nennt Flüchtlings-Zusagen skandalös
Nach der Zustimmung Polens zum Plan zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU spricht die nationalkonservative Opposition von einem Skandal. «Seit gestern ist der Bau von Solidarität und Vertrauen in der Region schwieriger geworden», sagte Beata Szydlo, Spitzenkandidatin der nationalkoservativen Partei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) bei den Parlamentswahlen im Oktober, am Mittwoch in Warschau. Die Zusage, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, stehe den Interessen des Landes und der Sicherheit Polens entgegen.
Bei den Brüsseler Verhandlungen der EU-Innenminister war Polen aus der Allianz der ostmitteleuropäischen Visegrad-Staaten ausgeschert und hatte für den Plan gestimmt. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse hätte Polen ohnehin keine Möglichkeit gehabt, die Entscheidung zu blockieren, begründete Europaminister Rafal Trzaskowski. Die übrigen Visegrad-Staaten Tschechien, Ungarn und die Slowakei stimmten ebenso wie Rumänien gegen den Verteilungsplan.
Update 11.50 Uhr: EU-Außenbeauftragte Mogherini ruft EU zur Einigkeit auf
Vor dem Flüchtlings-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs hat die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini vor einem internationalen Ansehensverlust der Europäischen Union gewarnt. Schon jetzt schade der Umgang mit der Flüchtlingskrise der EU in der Außenpolitik, sagte sie der «Süddeutschen Zeitung» (Mittwochsausgabe). Die inneren Teilungen würden weltweit wahrgenommen. «Das schwächt unsere Glaubwürdigkeit nach außen sehr», sagte die EU-Außenbeauftragte. Die EU werde «erheblich an Einfluss verlieren, wenn wir es nicht schaffen, uns gemeinsam unserer Verantwortung zu stellen.
»Wir müssen glaubwürdig sein und innerhalb unserer Grenzen tun, was wir außerhalb unserer Grenzen fordern«, mahnte Mogherini. Zugleich warnte sie vor zu hohen Erwartungen an die Europäische Union. »Erst reden wir über die angebliche Ohnmacht der EU, dann wieder sieht es aus, als solle sie alle Flüchtlingsströme weltweit organisieren. Die EU muss ihren Teil leisten, aber sie kann nicht alles tun«, betonte sie.
Die Staats- und Regierungschefs der EU wollten am Mittwochabend in Brüssel zusammenkommen, um über die Flüchtlingskrise an Europas Grenzen zu beraten. Wie aus Regierungskreisen in Berlin verlautete, soll es dabei hauptsächlich um außenpolitische Aspekte der Krise gehen.
Die EU-Innenminister hatten sich am Dienstag nach langem Ringen auf die Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland verständigt. Deutschland wird aus dem Kontingent etwas mehr als 30.000 Personen aufnehmen. Das entspricht einer Quote von 26 Prozent. Agenturen/nd
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