Ein Donnerstag ohne Ende
Der brutale Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner kommt am 28. Oktober vor Gericht
Stuttgart. Die juristische Auseinandersetzung um den brutalen Einsatz der Polizei gegen Stuttgart-21-Gegner am »Schwarzen Donnerstag« 2010 ist auch fünf Jahre danach noch nicht zu Ende. Vom 28. Oktober an verhandelt das Verwaltungsgericht Stuttgart über die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes, der mit mehr als hundert durch Wasserwerfer, Pfefferspray oder Schlagstöcke verletzten Demonstranten in die Landesgeschichte einging.
Sieben Verletzte von damals klagen gegen das Land Baden-Württemberg als Dienstherr der Polizei. Darunter ist auch der nach heftigen Wasserstößen gegen seinen Kopf aus den Augen blutende und fast erblindete Dietrich Wagner. Bei den Klagen gehe es auch darum, den Ruf der Demonstranten zu rehabilitieren und solche Ereignisse künftig zu verhindern, sagte Wagners Anwalt Frank-Ulrich Mann.
Erklärt das Verwaltungsgericht den Einsatz vom 30. September 2010 für rechtswidrig, steigen die Chancen von Wagner und den anderen auf Schmerzensgeld und Schadenersatz in etwaigen Zivilprozessen, erklärte der ehemalige Richter und S-21-Gegner Dieter Reicherter. Man würde für Wagner nach aktuellem Stand rund 100 000 Euro fordern, so Reicherter.
Tausende Demonstranten hatten am 30. September 2010 auf dem Baufeld für den Tiefbahnhof gegen das Fällen von Bäumen protestiert. Bei der Räumung wurden laut Land rund 160 Menschen durch Wasserwerfer, Pfefferspray oder Schlagstöcke verletzt. Das Milliardenprojekt Stuttgart 21 umfasst den Umbau des Hauptbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und die neue Schnellbahnstrecke nach Wendlingen (Kreis Esslingen).
Die Aufarbeitung des »Schwarzen Donnerstags« durch den Landtag von Baden-Württemberg zieht sich ebenfalls seit Jahren hin. Auch jetzt noch versucht der inzwischen zweite Untersuchungsausschuss »Schlossgarten« zu klären, ob Mitglieder der damaligen CDU/FDP-Regierung oder sogar Ex-Regierungschef Stefan Mappus (CDU) die harte Gangart der Polizei anordneten oder zumindest forderten. Greifbare Ergebnisse oder Beweise dafür gibt es bisher nicht.
Juristische Konsequenzen hatte der brachiale Wasserwerfereinsatz derweil für Stuttgarts damaligen Polizeichef und Einsatzleiter Siegfried Stumpf, der nach dem Einsatz den Dienst quittierte. Er akzeptierte Anfang des Jahres einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung, zahlte 15 600 Euro und ist seither offiziell vorbestraft. Durch ein Video wurde ihm nachgewiesen, dass er sehr wohl die vielen Verletzen sehen konnte - und dass er nicht erst hinterher davon hörte, wie er stets behauptet hatte. Auch das Innenministerium prüfte nach eigenen Angaben den Fall Stumpf disziplinarrechtlich, durfte aber über das Ergebnis nichts sagen.
Der Wasserwerfereinsatz hatte in den vergangenen fünf Jahren zudem mehrere Strafbefehle zur Folge: So ergingen Geld- und Bewährungsstrafen gegen die Besatzung der Wasserwerfer. Ein anderes Verfahren des Landgerichts Stuttgart gegen zwei Polizeiführer wurde gegen Geldauflage von je 3000 Euro eingestellt. dpa/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.