Vom Wasserwerfer überrollt: Gedenken an Günter Sare

Gedenken 30 Jahre nach Tötung des Antifaschisten durch Polizisten in Frankfurt / Freundeskreis: Antifaschistischer Widerstand notwendiger denn je

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Wenige Tage nach der Tötung des Antifaschisten Günter Sare durch Polizisten am Rande einer Demonstration gegen die neonazistische NPD in Frankfurt vor 30 Jahren kursierte in Frankfurter Antifakreisen ein erstes ausführliches Flugblatt. Es schilderte einen der traurigen Marksteine in der Geschichte der bundesdeutschen Linken.

Immer wieder waren Linke bei Polizeieinsätzen getötet worden: Philipp Müller in Essen bei Protesten gegen die Wiederbewaffnung, Benno Ohnesorg in Berlin bei Aktionen gegen den Schahbesuch, Klaus-J. Rattay in Berlin bei der Räumung eines besetzten Hauses, Olaf Ritzmann in Hamburg bei einer Demo gegen Strauß. Und nun, an jenem 28. September 1985 Günter Sare in Frankfurt.

»Am Samstag fand eine Protestveranstaltung gegen das NPD-Treffen im Bürgerhaus Gallus statt. Etwa 1.000 Menschen beteiligten sich an einem deutsch-ausländischen Freundschafts fest vor der Hufnagelschule in der Nahe des Bürgerhauses. Beim Eintreffen der Faschisten kam es zu einer Protestkundgebung«, hieß es seinerzeit in dem Flugblatt, das den Vorfall schildert. »Die Polizei geleitete die Teilnehmer der NPD-Veranstaltung ins Haus Gallus und begann gleichzeitig mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die versammelten Demonstranten vorzugehen.«

Die Polizei wird den Tod von Sre später als Unfall darstellen. Doch die Begebenheiten erzählen eine andere Geschichte. »Günter Sare wird auf der Kreuzung von einem Wasserwerferstrahl zu Boden geworfen. Als er wieder auf die Beine kommt, fährt ein zweiter Wasserwerfer um die Ecke und hält kurz an. Obwohl die Besatzung den Demonstranten bei heller Beleuchtung gesehen hat, ja mit den Wasserkanonen gezielt auf ihn schießt, fährt der Wasserwerfer mit hoher Geschwindigkeit an und überrollt Günter Sare im Brustbereich. Zwei Sanitäter und ein Arzt, die dem Verletzten zu Hilfe eilen, werden von der Polizei behindert (›Was, du Schwein willst Arzt sein‹). Sie müssen Günter Sare vor einen Autoscheinwerfer bringen, um ihn versorgen zu können, da die Polizei die Stelle nicht ausleuchtet. Trotz dringender Bitte, sofort einen Notarztwagen zu holen, dauert es 10 Minuten, bis ein zu gering ausgerüsteter Krankenwagen kommt. Erst nach 20 Minuten trifft der Notarztwagen ein, in dem Günter Sare auf dem Transport stirbt«, so das Flugblatt.

Der Mord, wie Sares Tod von vielen gesehen wird, löst schwere Krawalle in der Bundesrepublik aus. Allein in der Nacht des Todes kommt es zu zahllosen Protestaktionen mit Millionenschäden. Die Verantwortlichen des Wasserwerfereinsatzes werden 1987 vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen, weil niemand widerlegen kann, dass sie wie behauptet Günter Sare übersehen hätten. Viele schenken dieser Version der Geschichte keinen Glauben.

An diesem Samstag wird in Frankfurt an Günter Sare gedacht. Die Demonstration solle »daran erinnern, dass Günter Sare mit anderen be- reits vor 30 Jahren vor den Neonazis warnte, die in den letzten Jahrzehnten die Republik mit Terror und Toten überziehen«, heißt es in einem Aufruf, der daran erinnert, dass seit 1990 faschistische Mörderbanden über 200 Menschen ermordeten. »Heute zeigen Neonazis ihr Gesicht ungehindert und töten für ihre menschenverachtende Ideologie. Antifaschistischer Widerstand ist notwendiger ist denn je, auch um die Flüchtlinge zu schützen, die sich die Nazis aktuell zum Hauptgegner auserkoren haben«, so der Sprecher des »Freundeskreises Günter Sare«, Horst Schöppner. »Bundesweit ist ein Erstarken faschistischer Gesinnung zu vermerken. Und sowohl früher als auch heute, wird niemand außer uns selbst den Kampf gegen die Faschisten aufnehmen. Dafür starb Günter Sare vor 30 Jahren, und deshalb gedenken wir heute seiner.«

Die Demonstration am 26.9.2015 steht unter dem Motto »Nichts und Niemand wird vergessen« und soll darauf hinweisen, dass der »Kampf gegen Faschismus weiter geht.« Am Montag, den 28.9.2015 findet im Haus Gallus um 19Uhr eine Podiumsveranstaltung mit Zeitzeug*innen der Ereignisse von vor 30 Jahren statt. nd

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