»Die deutsche Linke muss die Machtfrage stellen«
Griechenland nach der Wahl, die Zukunft von SYRIZA und die Eurokrise der Linken: Dokumentation eines nd-Gesprächs mit dem SYRIZA-Politiker Giorgos Chondros
»Wie kann es weitergehen?« Das ist inzwischen die große Frage der europäischen Linken: Wie weiter mit SYRIZA, wie weiter in einem Europa der kapitalistischen Eliten, wie weiter für eine Linke, die nicht bloß Krisen verwalten will? Giorgos Chondros wirft die Frage am Ende seines Buches über den griechischen Frühling auf – am vergangenen Freitag sprach er mit nd-Chefredakteur Tom Strohschneider in Berlin über die Versäumnisse der deutschen Linken, die Fehler von SYRIZA und die zweite Etappe der griechischen Linkspartei an der Regierung. Sie können das Gespräch hier nachören.
Chondros gibt in dem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung mitorganisierten Salon-Abend Auskunft über seine Erfahrung in deutschen Talkshows, schätzt die Ergebnisse von SYRIZA, Laiki Enotita und KKE bei den Wahlen vom 20. September ein, wirft einen Blick voraus auf die nun anstehenden Herausforderungen für die Tsipras-Regierung. Und er spricht Erwartungen aus: Die hiesige Linke, so Chondros ganz am Schluss, solle endlich hierzulande »die Machtfrage in Deutschland« stellen – das wäre ein wirksamer Beitrag zur Unterstützung des griechischen Frühlings. »Wir haben sie auch gestellt, als wir eine Partei von vier Prozent waren. Und es ist aufgegangen.«
Chondros' Buch erzählt aus dem Innenleben von SYRIZA, gibt Auskunft über die Erpressungspolitik der Gläubiger, dokumentiert Erfahrungen linker Regierungspolitik unter den Bedingungen einer von Berlin aus orchestrierten Austeritätspolitik. Der studierte Ethnologe und Umweltpolitiker hat diesen Versuch nicht nur begleitet. Chondros wurde zum Gesicht von SYRIZA in den deutschen Talkshows, der Mann mit der roten Brille, der geduldige Erklärer der griechischen Linkspartei und ihrer Politik.
In fünf Kapiteln legt er aus seiner Sicht »Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas« dar, beschreibt, wie »der Propagandakrieg gegen SYRIZA« den Mythos der »Rettung« Griechenlands aufrechterhalten sollte - und zugleich Ängste vor linker Politik schürte. Für eine linke Leserschaft dürfte das sechste Kapitel von besonderem Interesse sein, jenes, in dem Chondros Fehler der Tsipras-Regierung benennt, die Debatten in der Linkspartei schildert und die Abspaltung der »Volkseinheit« beschreibt. Die griechische Linke habe immer dann Großes geleistet, »wenn sie einig war. Im Gegensatz dazu erlitt sie dann Desaster, wenn der ›Fluch der Linken‹ zuschlug, der nichts anderes ist als die selbstzerstörerische Spaltung«.
Chondros will damit nicht die Fehler der Tsipras-Regierung bemänteln, welche der Abspaltung der »Volkseinheit« vorausging. Es geht ihm vielmehr um den Vorteil, der in der »Diversität« einer Partei liegt, deren Zusammenhalt politisch begründet ist und nicht ideologisch. Mit dieser Stärke, die auch die Verankerung in den sozialen Bewegungen möglich machte, gewann SYRIZA die Januar-Wahl. Man habe es aber versäumt, so Chondros, sich »gründlich auf eine mögliche Übernahme der Regierung vorzubereiten«. Der Wahlkampf habe alles überlagert, es habe an einem detaillierten Regierungsprogramm gefehlt. Chondros, der innerhalb von SYRIZA zum linken Zentrum gehört, kritisiert das »durchaus autokratische Verhalten der Parteiführung um Alexis Tsipras«, stellt sich aber auch nicht auf die Seite derer, die der Partei nun den Rücken gekehrt haben. Er bleibt in dem Buch, obgleich Akteur, ein Erklärer. Einer, der im »unerfreulichsten, kritischsten und schmerzhaftesten Augenblick« Rechenschaft ablegt.
»Wie kann es weitergehen?« Chondros sagt, alte Gewissheiten tragen nicht mehr. Dass er die »Gewissheiten« in Anführungszeichen setzt, mag ein Detail sein - aber auch ein Beleg für eine Herangehensweise an linke Politik, die mit Wahrheitsansprüchen nichts anfangen kann. Er selbst werde »einen letzten Versuch« unternehmen, zu verhindern, »dass die Niederlage der Regierung zur strategischen Niederlage von SYRIZA und der gesamten europäischen Linken wird«. tos
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