Völkerstrafrecht künftig lieber ohne «uns»?

Stuttgarter Urteil gegen zwei ruandische Top-Terroristen wirft viele Fragen auf

  • Claus Dümde
  • Lesedauer: 3 Min.
Ende September ging in Stuttgart das erste Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland zu Ende. Mit Lob und Kritik. Sogar der Richter selbst stellte es indirekt in Frage.

Zwar hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart am 320. Verhandlungstag eines mehr als vierjährigen Prozesses zwei ruandische Staatsbürger, die seit den 80er Jahren unbehelligt im Musterländle lebten, wegen «Rädelsführerschaft» in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu langen Haftstrafen verurteilt. Doch der Anklage der Bundesanwaltschaft, die den Chefs der im Osten Kongos operierenden Terrormiliz «Demokratische Befreiungskräfte von Rwanda» (FDLR)« Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorwarf, folgte der Senat nicht. Richter Jürgen Hettich machte gleich zu Beginn der mündlichen Urteilsbegründung seine Unzufriedenheit deutlich: »Ein solches Mammutverfahren ist mit den Mitteln der Strafprozessordnung nicht in den Griff zu bekommen.« Pointiert sagte er: »So geht es nicht!«

Das wird schon am Schuldspruch deutlich: Beide Angeklagten wurden zwar als »Rädelsführer« der FDLR-»Milizen« verurteilt, aber nicht für die im Kongo verübten Morde, Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen und weiteren Straftaten verantwortlich gemacht. Für FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka heißt das in Tateinheit mit »Beihilfe« zu diesen Kriegsverbrechen 13 Jahren Haft. FDLR-Vize Straton Musoni wurde nur wegen Rädelsführerschaft zu acht Jahren Haft verurteilt, obwohl er laut Bundesanwaltschaft Murwanashyaka »in militärischen Angelegenheiten vertreten und beraten« habe. Er wurde nun sogar von weiterer Untersuchungshaft verschont.

Die Bundesanwaltschaft hatte für Murwanashyaka lebenslange Haft mit Feststellung von besonderer Schwere der Schuld beantragt, für Musoni zwölf Jahre Freiheitsentzug. Ob sie Revision beim Bundesgerichtshof einlegt, bleibt abzuwarten. Die Verteidigung, die Freisprüche gefordert hatte, kündigte Revision noch im Gerichtssaal an. »Wir zweifeln schon an, dass die Haupttaten überhaupt so stattgefunden haben«, sagte Rechtsanwältin Ricarda Lang.

Dass es Revisionsgründe geben könnte, räumte Richter Hettich gleich selbst ein: Zwischen der Verurteilung als »Rädelsführer« und der wegen »Beihilfe zu Kriegsverbrechen« bestehe ein Widerspruch. Laut Gericht hatten beide Angeklagten »Schlüsselpositionen« in der FDLR inne, haben von Kriegsverbrechen gewusst und diese billigend in Kauf genommen, über Jahre. Sie hätten die Verbrechen aber verheimlicht, öffentlich bagatellisiert, zum Teil sogar bewusst geleugnet. Letztlich lasse sich aber nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen, dass der FDLR-Chef auch die Macht über den militärischen Flügel der Organisation hatte, so der Vorsitzende Richter. Es gebe Zeugenaussagen, wonach der Militärchef Befehle vom Politiker Murwanashyaka nicht akzeptiert oder sie zumindest nicht umgesetzt habe. Im Zweifel für die Angeklagten? Selbst wenn sie massenhafte Morde, Vergewaltigungen, Versklavung zugleich billigten, bagatellisierten und leugneten, so deren Fortsetzung ermöglichten - auch deutsche Richter bewerten das in anderen Fällen nicht als Beihilfe, sondern Mittäterschaft.

Die Aufklärung von Straftaten in einem 6000 Kilometer vom Gericht entfernten Gebiet mit aufwendigen Ermittlungen und Rechtshilfeersuchen sowie einer extrem komplexen Beweisaufnahme sei sehr schwierig gewesen, beklagte Richter Hettich. Auch wegen des zum Teil »unsäglichen« Verhaltens der Prozessparteien sei das Verfahren »mehrmals kurz davor« gewesen zu platzen.

Vor solchen Schwierigkeiten stehen auch die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs und diverser Kriegsverbrechertribunale. »So geht es nicht«, hat man von dort allerdings noch nicht gehört. Vielleicht liegt’s ja an der deutschen Strafprozessordnung, wenn immer wieder Straftäter in Spitzenpositionen und/oder mit entsprechenden Star-Verteidigern davonkommen. Oder an mangelhafter Ermittlung der angeklagten Verbrechen vor Anklageerhebung und Prozessbeginn. Im vorliegen Fall waren die Untaten der Hutu-Milizen in Kongo schon seit den 90er Jahren bekannt. Ebenso, dass Murwanashyaka 2001 FDLR-Präsident wurde und 2004 Musoni zu seinem 1. Vize machte. In der BRD begannen »verdeckte Ermittlungen« erst Ende 2008.

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