Städtebund will Familiennachzug begrenzen
Immer mehr Kinder unter den Flüchtlingen / UNHCR: Nachzug von Partnern und Kindern erleichtern / Schäuble: Willkommensfeiern für Flüchtlinge haben möglicherweise »zu positiv« gewirkt
Update 9 Uhr: Immer mehr Kinder unter den Flüchtlingen
Nach Angaben der Organisation SOS-Kinderdörfer steigt der Anteil der Kinder unter den Flüchtlingen in den europäischen Transitländern rasant. »Wir beobachten aktuell, dass die Zahl der Frauen und Kinder, die vor allem aus den Camps in der Türkei und im Libanon kommen, stark zunimmt. Sie haben die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges in Syrien verloren und wollen nur eins: Sicherheit und eine Zukunft für ihre Kinder«, sagte Katharina Ebel. Die Mitarbeiterin der SOS-Kinderdörfer macht sich zurzeit ein Bild von der Lage der Flüchtlinge und war gerade an Brennpunkten auf der griechischen Insel Lesbos und in Mazedonien vor Ort. »Gerade wenn es um die Hilfe für immer mehr Kinder und Familien auf der Flucht geht, muss Europa jetzt handeln und dringend Solidarität mit den Transitländern zeigen«, so Ebel. »Andernfalls droht eine humanitäre Katastrophe: Wird es jetzt kälter bedeutet das für die Menschen, die größtenteils im Freien übernachten, eine große Gefahr«, so Ebel weiter.
Auf der griechischen Insel Lesbos landen derzeit täglich rund 2000 Flüchtlinge, mit dem Ziel von dort weiterzureisen. Ein Großteil der Neuankömmling seien mittlerweile Familien und Angehörige, die bereits eingetroffenen Flüchtlingen folgen. Auch in Mazedonien und Serbien lasse sich bereits seit Wochen beobachten, dass immer mehr Familien und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eintreffen. Laut UNHCR waren im Juni noch 80 Prozent der Flüchtlinge in Mazedonien Männer, inzwischen sind rund die Hälfte Frauen und Kinder. »Die Zahlen steigen weiter und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland der Anteil der Kinder und Frauen unter den Flüchtlingen stark steigt«, so SOS-Mitarbeiterin Ebel. »Die Bundesregierung muss umgehend Maßnahmen ergreifen, um in Deutschland die altersgerechte Versorgung und Integration von immer mehr Flüchtlingskindern sicherzustellen.«
Städtebund will Familiennachzug begrenzen
Berlin. Während das UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR von den europäischen Ländern einen leichteren Nachzug der Ehepartner und Kinder von Flüchtlingen fordert, spricht sich der Städte-und Gemeindebund für eine deutliche Begrenzung aus. »Wenn weit über eine Million Asylbewerber in einem Jahr nach Deutschland kommen, wird es unverzichtbar sein, den Familiennachzug zu beschränken und zumindest ein zeitliches Moratorium vorzusehen«, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Der Jurist schloss ferner eine Änderung des Grundgesetzes nicht aus mit dem Ziel, dass Personen aus sicheren Herkunftsländern ihren Asylantrag nur aus diesen Ländern heraus stellen könnten. Landsberg sprach sich zudem dafür aus, an den Außengrenzen zum Beispiel zwischen Bayern und Österreich Transitzonen geschaffen und Überprüfungen nach dem »Flughafenverfahren« vorzunehmen.
Nach Meinung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sollen europäische Länder dagegen Flüchtlingen den Nachzug ihrer Ehepartner und Kinder erleichtern. Das forderte am Dienstagabend Volker Türk, ein hochrangiger Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, und stellte sich damit gegen anderslautende deutsche und österreichische Vorschläge. »Es ist eben aus unserer Sicht ganz besonders wichtig, dass man die Familienzusammenführung eher erleichtert als erschwert«, sagte der oberste UNHCR-Beamte für Flüchtlingsschutz dem österreichischen Sender ORF.
Zuvor hatte auch Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) eine Begrenzung des Anspruchs der Flüchtlinge auf Familiennachzug gefordert. In Österreich liegt ein Gesetzesentwurf vor, wonach Flüchtlinge sich erst eine Existenz aufbauen müssen, falls sie später ihre Angehörigen nachholen wollen. Viele kämen aber gerade wegen ihrer Familien nach Europa, sagte Türk. Laut UNHCR weichen Migranten wegen fehlender legaler Einreisemöglichkeiten auf gefährliche Fluchtrouten aus.
Angesichts der politischen Krise im Umgang mit den Flüchtlingen hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unterdessen erklärt, dass die Bilder von Willkommensfeiern für Flüchtlinge etwa vom Münchner Hauptbahnhof in den Herkunftsländern der Flüchtlinge möglicherweise »zu positiv« gewirkt haben könnten. Während einer Gesprächsrunde mit Studenten der Pariser Hochschule Sciences Po. sagte er, Deutschland werde die Integration der Zuwanderer schaffen, sagte Schäuble, dass ihr als Regierungschefin letztlich gar keine andere Wahl bleibe, als Zuversicht zu zeigen.
Schäuble forderte von den Staaten Europas Solidarität mit Menschen auf der Flucht, zugleich aber bessere Grenzkontrollen. »Wenn Europa ernst genommen werden will, muss es großzügig sein.« Eine bessere Kontrolle der Einreise von Flüchtlingen sei zwingend notwendig, hohe Arbeitslosigkeit oder geringe Wirtschaftskraft in Süd- und Osteuropa seien hingegen keine Argumente, eine den europäischen Werten widersprechende »Festung Europa« zu errichten. Agenturen/nd
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