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Badeanzug und Wollmütze

Bei einer Ganzkörperkältetherapie von minus 110 Grad lassen die Schmerzen nach

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 4 Min.
Wird der ganze Körper schockartig intensiver Kälte ausgesetzt, kann das Schmerzen lindern, Entzündungen hemmen und leistungsfähiger machen.

Badeanzug, Wollmütze und Mundschutz, dazu Schuhe, Strümpfe und Handschuhe: In rekordverdächtigem Tempo rüstet sich eine Gruppe älterer Damen für die Kältekammer des Krankenhauses Neuwittelsbach in München. Dass der Aufzug seltsam wirkt, nehmen sie nicht mehr wahr - der Besuch der Kammer ist für sie längst Routine. »Minus 110 Grad« steht auf der Tür. Draußen scheint warm die Sommersonne. Ist den Patientinnen nicht bang vor der klirrenden Kälte? »Wenn man weiß, dass einem das gut tut, hält man’s gerne aus«, sagt Brigitta Barna, die an chronischen Schmerzen in Folge einer Fibromyalgie leidet. »Wenn ich an 14 Tagen zweimal täglich in die Kältekammer gehe, habe ich drei bis vier Monate lang weniger Schmerzen.« Die Besuche hätten auch angenehme Nebeneffekte: »Mein ganzer Stoffwechsel kommt dadurch auf Touren, ich fühle mich frischer und schlafe besser«, berichtet sie.

Die Ganzkörperkältetherapie, die inzwischen einige Krankenhäuser und Kurzentren in Deutschland anbieten, lässt sich bei vielen Beschwerden als zusätzliche Therapie einsetzen. Denn der schockartige Kältereiz auf der Haut lindert Schmerzen, hemmt Entzündungen und macht leistungsfähiger. »Am häufigsten behandeln wir Patienten mit entzündlichem Rheuma und mit Fibromyalgie«, sagt der Physiotherapeut Gernot Fuchs, der über die Kältekammer am Krankenhaus Neuwittelsbach wacht. Bei vielen Patienten lassen die Schmerzen bei eisigen Temperaturen sofort nach. »Durch die extreme Kälte werden die Schmerzrezeptoren blockiert«, erklärt Fuchs. Dieser Effekt hält bis zu vier Stunden an - eine Zeit, die sich gut für Krankengymnastik nutzen lässt. Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, sind in der Regel mindestens zehn Anwendungen nötig.

Der Physiotherapeut öffnet die schwere Tür der Kammer, die wirkt wie ein riesenhafter Kühlschrank. Weißer Nebel entweicht. Die ersten Patientinnen betreten die Vorkammer. Bei circa minus 60 Grad Celsius soll sich ihr Körper dort auf die Kälte einstellen, bevor es nach etwa 15 Sekunden weiter in die eigentliche Therapiekammer geht.

Durch ein Fenster kann man die Patienten sehen, die gerade bei Temperaturen frösteln, die nicht einmal die Antarktis bietet. Brigitta Barna und die anderen Damen erscheinen in einem schummrigen Licht. Sie bewegen sich langsam zur Gute-Laune-Musik, die aus den Lautsprechern tönt. »Eine Minute«, sagt Gernot Fuchs. Regelmäßige Zeitangaben sind wichtig, damit die Patienten sich orientieren können. Bis zu drei Minuten bleiben sie in der Kammer - wer genug hat, kann aber jederzeit gehen. Wieder geht die Tür auf, und die Patientinnen kommen heraus. Sie scheinen wie Außerirdische den weißen Rauchwolken zu entschweben. Sind sie halb erfroren? Nein, die Frauen machen einen munteren Eindruck. Da die Kälte extrem trocken ist, lässt sie sich relativ gut ertragen. »Früher wusste ich nicht, dass mir Kälte gut tut«, sagt Elisabeth Reitschuster, die an rheumatoider Arthritis leidet. Vor zwei Jahren waren ihre Beschwerden so stark, dass sie kaum noch laufen konnte. »Ich hatte schon eine Überweisung für ein neues Kniegelenk, als ich mich hier im Krankenhaus behandeln ließ«, erzählt sie. Zur Therapie gehörte die Kältekammer. »Nach vier Wochen hatte sich die OP erübrigt«, sagt sie.

Dass Kälte Schmerzen lindert, ist eine alte Erkenntnis. Wie der Reha-Experte Winfried Papenfuß in seinem Buch »Die Kraft aus der Kälte« schreibt, setzten schon in der Antike Ärzte auf diese Wirkung. Die Ganzkörperkältetherapie wurde aber erst 1980 in Japan entwickelt und danach auch in Europa bekannt. Dass sie eine schmerzstillende und entzündungshemmende Wirkung haben kann, ist wissenschaftlich belegt. »Bei Patienten mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen sind positive Effekte der Ganzkörperkältetherapie erwiesen«, sagt Prof. Uwe Lange, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation. Nach einer seriellen Anwendung könne der Therapieeffekt bis zu sechs Monate anhalten. Wichtig sei aber, dass keine Gegenindikationen vorlägen: Dazu gehören Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen, Herz- und Lungenprobleme. Vor der Kältekammer sollte man mit dem Arzt sprechen.

Die Ganzkörperkältetherapie hilft offenbar auch bei einigen anderen Krankheiten, etwa bei Neurodermitis und Schuppenflechte. Außerdem kann sie sich Papenfuß zufolge bei Asthma bronchiale, Schlafstörungen und dem Burn-out-Syndrom positiv auswirken. Inzwischen haben auch Sportler die Therapieform für sich entdeckt - so gibt es Fußball-Bundesliga-Vereine, die bereits über eine eigene Kältekammer verfügen. Ganzkörperkälte kann helfen, nach Verletzungen rascher wieder fit zu werden. Daneben wirkt sie offenbar auch leistungssteigernd. Lange sagt: »Möglicherweise liegt das daran, dass der gesamt Muskelstoffwechsel angekurbelt wird.« Insofern seien Kältekammerbesuche potenziell auch eine Form »legalen Dopings«.

Bei Bayer 04 Leverkusen wird die Kältekammer, die vor fünf Jahren installiert wurde, gut angenommen, wie der Leiter der medizinischen Abteilung, Karl-Heinrich Dittmar, berichtet. Sie sei ein Beitrag zur Regeneration der Spieler. Auch Bayern-München-Torwart Manuel Neuer hat das therapeutische Frieren schon ausprobiert, um rascher von Muskelblessuren zu genesen: Er war bislang der prominenteste von Fuchs’ Kältekammergästen. Ein signiertes Foto im Vorraum zeigt den Star mit dem Physiotherapeuten und dem Team. Neuers Besuche werden sich wohl nicht wiederholen. Bayern München plant nämlich, bald eine eigene Kältekammer zu eröffnen.

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