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Mehr Schlaganfälle bei Jüngeren
Der Neurologe Lars Kellert über Vorerkrankungen, die das Risiko bei Menschen unter 55 Jahren erhöhen
Stimmt es, dass Schlaganfälle bei jüngeren Menschen häufiger geworden sind?
Ja, die Schlaganfall-Inzidenz hat bei jüngeren Menschen in den vergangenen zehn bis 15 Jahren um circa 15 Prozent zugenommen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Aufmerksamkeit größer ist und Schlaganfälle deshalb öfter diagnostiziert werden. Zum anderen kommen Schlaganfälle im jüngeren Alter aber auch tatsächlich häufiger vor.
Was versteht man in dem Zusammenhang unter »jüngeren Menschen«?
Laut Definition sind es Schlaganfälle bei Menschen unter 55 Jahren. Das ist eine etwas veraltete Einteilung, weil der Bereich doch recht heterogen ist. Demnach gehört ein 25-Jähriger ohne Risikofaktoren genauso zu den jüngeren Schlaganfallpatienten wie ein 54-Jähriger mit Bluthochdruck und Diabetes, der ein ganz anderes Risikoprofil hat. Das alles in einen Topf zu werfen, ist natürlich nicht adäquat.
Lässt sich genauer sagen, in welcher Altersgruppe es in erster Linie eine Zunahme gegeben hat?
Ja, nämlich bei Menschen zwischen 18 und 44 Jahren.
Warum gerade bei ihnen?
Das ist nicht sehr gut systematisch untersucht worden. Eigentlich gibt es bei der jüngeren Generation einen Trend zu einer gesünderen Lebensweise, zum Beispiel ist bei Jugendlichen heute das Rauchen eher verpönt. Aber es gibt auch eine Teilgruppe, die zu einem ungesunden Lebensstil neigt und dadurch größere Risikofaktoren hat. Übergewicht hat seit den 90ern stark zugenommen. In Deutschland sind mittlerweile zirka 60 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen übergewichtig.
Lars Kellert (49) ist Neurologe und leitet die Schlaganfalleinheit des LMU-Klinikums München. Zu seinen Schwerpunkten gehört die Diagnostik und Therapie akuter Schlaganfälle und Hirnblutungen. Kellert ist seit zehn Jahren Oberarzt am LMU-Klinikum.
Welche Rolle spielt Bluthochdruck?
Er ist einer der wesentlichen Faktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zugleich eine Volkskrankheit. In Deutschland hat ab dem 60. Lebensjahr jeder Zweite Bluthochdruck. Dabei ist er zum einen eine der wichtigsten Ursachen für Schlaganfälle, aber auf der anderen Seite ein sehr gut zu beeinflussender Risikofaktor. Erhöhter Blutdruck lässt sich mit Lebensstil und Medikamenten sehr gut in den normalen Bereich senken, und ein Blutdruckmessgerät ist nicht teuer. Aber dennoch ist Bluthochdruck eher ein Risikofaktor bei älteren Menschen. Grundsätzlich sind die Risikofaktoren für Schlaganfälle bei Jüngeren anders verteilt als bei Älteren. Bei jüngeren Menschen sind die häufigsten Ursachen Gerinnungsstörungen, Herzfehler oder Gefäßwandeinrisse, die spontan auftreten. Das Potpourri an vaskulären Risikofaktoren, also Rauchen, Diabetes, Übergewicht, Bewegungsmangel und Bluthochdruck, kommt irgendwann ab einem gewissen Alter hinzu, macht aber nicht den Großteil an Ursachen bei jüngeren Menschen aus.
In den meisten Fällen handelt es sich also um Vorerkrankungen, die man gar nicht gekannt hat?
Ja. Eine häufige Ursache, die in den letzten Jahren immer stärker in den Vordergrund getreten ist, ist das persistierende Foramen ovale, PFO genannt. Das ist eine Kurzschlussverbindung im Herzen zwischen dem rechten und linken Vorhof, die extrem häufig vorkommt. Normalerweise verschließt sich dieses Loch bei der Geburt, bleibt aber bei etwa jedem vierten Menschen offen. Mittlerweile weiß man, dass Schlaganfälle bei jungen Menschen sehr häufig auf ein solches PFO zurückzuführen sind. Wird es als Ursache feststellt, dann verschließt man die Öffnung, indem ein Schirmchen draufgesetzt wird, und verhindert damit, dass noch einmal ein Schlaganfall dadurch hervorgerufen wird.
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Das heißt, dass jeder vierte Mensch mit einem gewissen Risiko lebt?
Das Risiko ist insgesamt extrem gering. Allerdings erhöht es sich, wenn weitere Faktoren wie Gerinnungsstörungen oder eine tiefe Beinvenenthrombose hinzukommen. Da so viele Menschen ein PFO haben, lohnt es sich auch nicht, zu screenen – man sollte also nicht zum Hausarzt gehen und nachschauen lassen, ob man eines hat. Wenn man betroffen wäre, hätte das keine Konsequenzen. Schließlich leben zwei Milliarden Menschen auf der Welt damit.
Sollten sich auch jüngere Leute öfter mal beim Hausarzt durchchecken lassen?
Wenn man ansonsten gesund ist, braucht man keinen intensivierten Check-up beim Hausarzt. Man sollte gesund leben, nicht rauchen, höchstens wenig Alkohol trinken, sich mediterran ernähren, ausreichend bewegen und auch mal den Blutdruck messen lassen. Wenn man sonst aber nichts von Herzrhythmusstörungen merkt, etwa beim Sport, dann muss man nichts weiter unternehmen. Hat man aber ein Risikoprofil, zum Beispiel eine erbliche Hypercholesterinämie, dann ist es sinnvoll, sich öfter mal vom Hausarzt untersuchen zu lassen. Er kann dann den Blutdruck messen, Laboruntersuchungen veranlassen und eventuell einen Ultraschall der Halsschlagadern machen, um zu schauen, ob man da bereits zu Ablagerungen neigt.
Kann man davon ausgehen, dass sich jüngere Leute immerhin schneller wieder von einem Schlaganfall erholen?
Ja, die Prognose ist bei ihnen wesentlich besser. Das Gehirn ist viel besser in der Lage, Defekte zu kompensieren. Es verfügt über sogenannte Plastizität. Hat man zum Beispiel eine Lähmung am Arm, kann man so lange trainieren, bis andere Gehirnbereiche die Funktion übernehmen, sodass man den Arm vielleicht wieder ganz normal bewegen kann. Solche Mechanismen sind bei jüngeren Menschen viel effektiver und dynamischer als bei älteren. Zwei Drittel der jüngeren Patienten können mehr oder weniger unbeeinträchtigt in den Alltag zurückkehren. Hinzu kommt, dass ältere Menschen auch noch viel mehr zusätzliche Erkrankungen haben, die den Verlauf negativ beeinflussen können, zum Beispiel eine Herzschwäche oder Diabetes. Man darf aber nicht unterschätzen, dass gerade jüngere Schlaganfallpatienten stark aus ihrem Alltag rausgerissen werden. Möglicherweise müssen sie mit einer Behinderung weiterleben, haben vielleicht noch kleine Kinder und sind voll berufstätig. Daher ist das ein wesentlich größerer Einschnitt als bei älteren Menschen, die vielleicht vorher schon ein gewisses Handicap hatten.
Droht auch bei Jüngeren ein neuer Schlaganfall?
Ja, grundsätzlich droht immer ein Rezidiv-Schlaganfall. Daher werden auch jüngere Patienten immer für einige Tage auf der Schlaganfall-Station überwacht. Das Risiko hängt aber von der Ursache ab. Kann man diese gut ausschalten, ist das Rezidiv-Risiko extrem gering – gerade bei jüngeren Patienten mit einem PFO. Für jüngere Schlaganfallpatienten liegt die Rezidivrate bei ein bis zwei Prozent pro Jahr, abhängig von der Ursache auch darüber oder darunter.
Wurde in den letzten Jahren genug über Schlaganfälle aufgeklärt?
Ich glaube, dass in den letzten 20 Jahren die Aufmerksamkeit für Schlaganfall-Symptome kontinuierlich zugenommen hat und dass mittlerweile die Bevölkerung, auch der Rettungsdienst, die Ärzteschaft und alle im Gesundheitssystem sehr wachsam sind, was Schlaganfallsymptome angeht.
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