Wenn die Zeit still steht

Das EM-Aus der Niederländer ist das Resultat jahrelanger Versäumnisse

Alternde Stars, kein Konzept: Der pathologische Widerstand des Verbandes gegen Neues hat den niederländischen Fußball an einen Tiefpunkt gebracht.

Dieser Dienstagabend in Amsterdam verrät viel über den KNVB, den Königlichen Niederländischen Fußballverband. Zuerst die nackten Zahlen, die in der kleinen, aber umso stolzeren Fußballnation blankes Entsetzen auslösten: Mit 2:3 verlor die »Elftal« gegen Tschechien. Mit Platz vier in der Qualifikationsgruppe A verpassen die Niederlande die EM 2016 - das erste kontinentale Turnier, bei dem statt bislang 16 sogar 24 Mannschaften mitspielen dürfen. Im ersten Schock spricht ein Fernsehkommentator von »der größten Blamage in der Sportgeschichte der Niederlande«.

Am Mittwoch war es um den Zustand im Nachbarland auch nicht viel besser bestellt. Mit etwas Abstand aber ging es weniger pathetisch zur ersten Analyse. Am treffendsten meldete sich »De Volksrant« zu Wort. Als »bittere Parodie auf Spitzenfußball« ordnete die Tageszeitung den Auftritt der Nationalelf ein.

Gegen elf Tschechen hatten die Gastgeber zur Halbzeit 0:2 zurückgelegen. Schon kurz vor dem Pausenpfiff musste Marek Suchy mit einer Roten Karte vom Platz. Doch auch gegen zehn Gegner lief es nicht besser, der Rückstand erhöhte sich auf drei Tore. Durch zwei späte Treffer von Klaas Jan Huntelaar und Robin van Persie reichte es nur noch zum Anschluss. Die beiden Stürmer stehen ebenso wie Mittelfeldspieler Wesley Sneijder für die Parodie auf Spitzenfußball.

Vor 13 Jahren haben Huntelaar und van Persie ihre ersten Länderspiele bestritten, ein Jahr später debütierte Sneijder. Bis zum Dienstagabend waren sie noch immer die großen Hoffnungsträger. Vom Spitzenfußball aber haben sie sich schon verabschiedet, wie auch die Namen ihrer aktuellen Klubs Schalke 04, Fenerbahce und Galatasaray Istanbul zeigen. Schmerzlich vermisst wurde Arjen Robben. Zwar steht der Flügelspieler beim FC Bayern München unter Vertrag und zeigt dort auch durchaus Weltklasseleistungen - wenn er dann mal spielt und nicht, wie aktuell auch wieder, verletzt fehlt. Robben trägt seit 2003 das Nationaltrikot, mehr als zwölf Jahre Spitzenfußball haben Spuren hinterlassen.

»Es wird Jahre dauern, bis wir wieder eine Mannschaft aufgebaut haben«, glaubt Wesley Sneijder. Er wird wohl Recht behalten. In seinem Vertrauen auf die mittlerweile ehemaligen Stars und geblendet von dem einen oder anderen Erfolg der Nationalelf, hat es der KNVB versäumt, über nachhaltige Konzepte nachzudenken. Während sich andere Länder wie Deutschland oder Belgien, das übrigens bei der Anfang November das nächste Mal veröffentlichten Weltrangliste Platz eins übernehmen wird, sich konsequent weiterentwickelt haben, stand die Zeit in den Niederlanden still. Vielversprechende Talente werden ihrem Ruf oft nicht gerecht. Bestätigt wird das durch die anhaltende Erfolglosigkeit des niederländischen Vereinsfußballs. Seit 2007 hat kein Klub mehr die Gruppenphase der Champions League überstanden.

Noch sehr viel schwerer wiegt das übermäßige Vertrauen zu alten Helden auf der Trainerbank. Neun Wechsel gab es dort seit 1992 bis zu diesem Sommer, aber nur sechs Namen. In seiner Einfallslosigkeit verpflichtete der Verband Dick Advoccat, Guus Hiddink und Louis van Gaal einfach ein zweites Mal. Und mit Ausnahme von Bert van Marwijk verdienten sich alle anderen Nationaltrainer in dieser Zeit ihre Berufung mehr durch ihre Erfolge als Fußballer: Frank Rijkaard, Marco van Basten sowie jetzt auch Danny Blind. Und selbst der Blick am Dienstagabend in der Amsterdam Arena in die zweite Reihe bestätigt dieses Muster. Die beiden Co-Trainer sind van Basten sowie der ehemalige Weltklassestürmer Ruud van Nistelrooy.

Dieser schon pathologische Widerstand im Fußballverband gegen Neues, Einflüsse und Ideen von außen hat die Niederlande dahin gebracht, wo sie jetzt sind: auf der Zuschauertribüne bei der EM. »Das Problem ist die Arroganz«, meint der niederländische Journalist Elko Born. Sie glaubten, schlauer zu sein als der Rest der Welt. Wer so denkt, hat schon verloren. Ob sich jetzt was ändert? Ob jetzt die Nachwuchs- und Trainerausbildung modernisiert wird und dafür notwendige Strukturen geschaffen werden? KNVB-Präsident Bert van Oostveen denkt jedenfalls nicht an einen Rücktritt und will auch am Trainer Blind festhalten. Und der sagte nach dem Spiel: »Ich habe mir nichts vorzuwerfen.«

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