VW-Abgasskandal könnte sich ausweiten
Auch frühe Version neuer Motoren womöglich von Manipulationen betroffen / Dokumente zum Abgas-Skandal aus der niedersächsischen Staatskanzlei verschwunden
Berlin. Die Krise um manipulierte Dieselfahrzeuge aus dem VW-Konzern könnte sich noch erheblich ausweiten. Auch frühe Versionen vom Nachfolger des VW-Skandalmotors EA189 sind möglicherweise von der Abgas-Affäre betroffen. Derzeit untersuche Volkswagen auch die anfängliche Variante des ab 2012 eingesetzten EA288 mit Euro-5-Norm, sagte ein Konzernsprecher am Donnerstag der Deutsche Presse-Agentur.
»Das schauen wir uns gerade genau an«, sagte der Sprecher wörtlich. Zur Größenordnung der zu untersuchenden Zahlen konnte er noch nichts sagen. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe bisher nur ausgeschlossen, dass die Euro-6-Versionen des EA288 nicht von den Problemen und damit von den Rückrufen betroffen sind. Der EA288 kam seit dem Jahr 2012 zunächst in Euro-5-Norm zum Einsatz, auch in Deutschland - zum Beispiel im VW-Verkaufsschlager Golf. In einem »gleitenden Übergang« sei dann schrittweise auf Euro-6 umgestellt worden.
Details zum Zeitraum der Umstellung waren zunächst unklar. Seit diesem September stehen in den VW-Autohäusern nur noch Modelle mit der laut KBA nicht betroffenen Euro-6-Version. Europas größter Autobauer hatte bisher stets betont, dass die »aktuelle Dieselmotorengeneration EA288 nicht betroffen« sei, sich dabei jedoch nicht eindeutig zu der Euro-5-Vorgängerversion des EA288 geäußert.
Die VW-Mitarbeiter müssen derweil nach Aussage des neuen Konzernchefs Matthias Müller keine Folgen des Diesel-Skandals fürchten – jedenfalls derzeit nicht. »Im Moment haben wir keinen Anlass, über Kurzarbeit auch nur nachzudenken«, sagte Müller in Wolfsburg. Der Abgas-Skandal hat laut Betriebsrat noch nicht auf die Verkäufe durchgeschlagen. Zur Frage, ob unter Umständen eine Reduzierung der Leiharbeit erwägt werde, äußerte sich Müller nicht. Betriebsratschef Bernd Osterloh räumte aber ein, dass der Vorstand sich darüber Gedanken mache. Für neuen Ärger sorgte eine aus der niedersächsischen Staatskanzlei verschwundene VW-Akte. VW hatte vor gut einem Monat eingeräumt, die Abgaswerte von Millionen Dieselwagen manipuliert zu haben.
Der Konzern muss wegen des Abgas-Skandals allein in Deutschland mindestens 2,4 Millionen Diesel in die Werkstatt rufen. Die Aktion soll im Januar beginnen. EU-weit sind rund 8,5 Millionen Fahrzeuge betroffen.
Der Vorstandschef bat um Geduld bei der Suche nach Antworten zur Schuldfrage: »Es ist nach wie vor so, dass wir in der Aufklärung begriffen sind.« Parallel dazu gelte es nun, die richtigen Schlüsse zu ziehen, um ähnlichen Verfehlungen künftig vorzubeugen. Zudem liege ein Hauptaugenmerk auf der Reform der Strukturen. Das Unternehmen müsse »schlanker, disziplinierter und entscheidungsfreudiger« werden.
Müller hatte Ende September Martin Winterkorn abgelöst. Dieser hatte die Verantwortung für manipulierte Stickoxid-Messwerte in den USA übernommen, ein persönliches Fehlverhalten aber zurückgewiesen.
Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur bestätigte der Betriebsratschef, dass der VW-Vorstand über Szenarien für eine Reduzierung der Leiharbeit nachdenke, falls sich der Absatz rückläufig entwickeln sollte. »Und es wäre Blödsinn, heute den Leuten zu sagen «Dein Arbeitsplatz ist sicher», wenn ich das im Moment gar nicht sagen kann. Man muss auf alle Eventualitäten vorbereitet sein«, betonte Osterloh.
Für neue Irritationen sorgten indes aus der niedersächsischen Staatskanzlei verschwundene Dokumente zum Abgas-Skandal. In der sogenannten Handakte werden fortlaufend Material und Informationen zu der Affäre gesammelt. Aufgrund einer Strafanzeige der Landesregierung ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover wegen Diebstahls gegen Unbekannt. In dem Ordner sollen jedoch keine brisanten Informationen wie etwa Aufsichtsratsunterlagen sein.
In der EU verkauft Volkswagen jetzt gar keine Neuwagen mehr mit dem betroffenen Motor EA 189. Bisher standen vereinzelt noch ältere Diesel-Neuwagen mit der Manipulations-Software bei Händlern im Lager - nun hat VW dafür einen Verkaufsstopp in allen 28 EU-Ländern verhängt. Es handle sich dabei um eine »sehr begrenzte Anzahl«, sagte ein Konzernsprecher. »In Einzelfällen« könne es daher passieren, dass Kunden bestellte Fahrzeuge deshalb nun nicht ausgeliefert bekommen. Die neue Generation der VW-Dieselmodelle hat neue Motoren, die die Euro-6-Norm erfüllen und nicht von den Rückrufen betroffen sind.
Der Chef der VW-Tochter Audi, Rupert Stadler, kündigte als Antwort auf den Skandal an, mit »wesentlich mehr Elektromobilität« wieder in die Offensive zu kommen. Bei einer Betriebsversammlung in Ingolstadt sagte der Manager vor rund 7000 Mitarbeitern: »Die Diesel-Affäre befeuert unsere Pläne. Wir machen jetzt richtig Tempo.« Audi werde 2018 einen elektrischen SUV und kurz darauf weitere rein elektrische Autos auf den Markt bringen. Wegen des Abgas-Debakels muss Audi mehr als zwei Millionen Diesel-Fahrzeuge zurückrufen. dpa/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.