Der allgegenwärtige Luther

Nicht nur Wittenberg: Sachsen-Anhalt will an die Omnipräsenz des Reformators erinnern

  • Hendrik Lasch, Zeitz
  • Lesedauer: 3 Min.
Mindestens 39 Orte in Sachsen-Anhalt stehen mit Martin Luther in Verbindung. Vor dem Reformationsjubiläum wird darauf hingewiesen.

Ein abendlicher Umtrunk reicht schon aus für eine Plakette. Am 21. Januar 1542 saßen Martin Luther und Nikolaus von Amsdorf in der Bischofsburg zu Zeitz auf ein Glas beisammen. Von Amsdorf war tags zuvor in Naumburg zum Bischof ernannt worden; jetzt bezog er seinen Wohnsitz, und der Reformator begleitete ihn. In Zukunft wird daran im Schloss Moritzburg, das im 17. Jahrhundert die Bischofsburg ersetzte, mit einer kleinen Tafel aus Edelstahl erinnert, die das Konterfei des Reformators zeigt sowie scheinbar von seiner Hand geschriebene Worte: »Luther war hier.«

Zeitz ist keine Ausnahme - Luther war fast überall in Sachsen-Anhalt: in Zahna und Zerbst, Anna-, Merse- und Magdeburg, in Wallhausen, in Hassel und Pretzsch. Mindestens 60 Lokalitäten an 39 Orten hat Jan Scheunemann vom Landesmuseum für Vorgeschichte und Archäologie identifiziert; Hinweise aus weiteren Orten trudeln regelmäßig bei dem Forscher ein. In Abwandlung einer Zeile aus einem Gedicht von Schiller könnte man sagen: »Wanderer, kommst du nach Sachsen-Anhalt - der Reformator war immer und überall schon da.«

Das freilich wissen viele Touristen nicht - und beschränken sich bei Reisen auf den Spuren Luthers auf den Geburts- und Todesort Eisleben sowie Wittenberg, wo er hauptsächlich lebte und wirkte. Rechtzeitig zum Reformationsjubiläum im Jahr 2017 soll der Horizont erweitert werden: »Wir wollen zeigen, dass es in Sachsen-Anhalt nicht nur zwei Lutherstädte gibt, sondern dass hier Lutherland ist«, sagt Regierungschef Reiner Haseloff.

Erreicht werden soll das durch die 60 Plaketten, die neben der Nachbildung des von Cranach geschaffenen Porträts Luthers als junger Mönch einen QR-Code enthalten. Wird dieser mittels Handy gelesen, gelangen Interessenten auf eine Internetseite, die kurze Informationen zu den Orten vermittelt. Im nächsten Jahr soll ein ausführlicherer Reiseführer folgen.

Dort wird dann auch erläutert, dass die Plaketten nicht nur Orte markieren, mit denen Luther angenehme Erinnerungen verbunden hätte. Zeitz etwa wurde zur Stätte einer Schmach: Der von ihm eingesetzte protestantische Bischof wurde von den katholischen Domherren geschnitten und warf das Handtuch. »Das Experiment scheiterte«, sagt Scheunemann. Man wolle zeigen, dass die Reformation »ein langwieriger Prozess mit Wildwuchs und vielen Strömungen war und nicht nur der 31. Oktober 1517.« An diesem Tag soll Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben.

Freilich: Ob sich das Ereignis wirklich so zutrug, ist strittig - worauf in Zeitz und womöglich auch an anderen Orten mit einer humorvollen Installation neben den Plaketten hingewiesen wird. Es handelt sich um eine papierne Silhouette des körperlich recht kleinen Reformators, der einen Malerquast hält und eben ein Plakat mit Informationen zu dieser Station seines Lebens an die Wand geleimt zu haben scheint. Vielleicht, sagt Scheunemann augenzwinkernd, »hat er ja auch die Thesen nicht an die Tür genagelt, sondern angeklebt«.

Genau wissen wird man das nie, und auch bei einigen der markierten Lutherorte wird ungewiss bleiben, ob der Reformator sie tatsächlich betreten hat. Ein Findling in der Dübener Heide etwa ist seit 1817 als Lutherstein bekannt und erhält demnächst eine Plakette. Er liegt nahe der Straße, auf der Luther 1519 aus Wittenberg zur »Leipziger Disputation« mit dem katholischen Theologen Johann Eck gereist sein könnte. Ob er an dem Stein verschnaufte, weiß man nicht. Für Touristen, die Luthers Omnipräsenz ermüdet, kann das ein Trost sein: Wanderer, kommst du nach Sachsen-Anhalt, so wisse: Manchmal scheint es auch nur, als ob Luther da war.

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