Tempelberg: Klarer sehen mit Kameras?
Streit um Videoüberwachung an heiliger Stätte in Jerusalem / Vor allem Palästinenser skeptisch
Es war das Wetter, das am Sonntag für kurze Zeit Ruhe spendete: Ein kalter, stürmischer Herbstregen ging über Israel und Palästina nieder und trieb palästinensische Demonstranten und israelische Soldaten für einige Stunden weg von der Straße, weg voneinander, bis es, kaum hatten sich die Wolken verzogen, wieder los ging. Am Grab der Patriarchen, einer Juden und Muslimen gleichermaßen heiligen Stätte in Hebron, wurde eine Palästinenserin erschossen, nachdem sie versucht hatte, israelische Soldaten anzugreifen. In Jerusalem und an Militärkontrollstellen im Westjordanland versammelten sich wieder die Demonstranten. Steine, Brandsätze flogen; Israels Sicherheitskräfte schossen scharf.
Am Wochenende hatte US-Außenminister John Kerry nach Gesprächen mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas bekannt gegeben, Israels Regierung habe der Überwachung des Tempelbergs per Kamera zugestimmt. Damit solle dem Vorwurf begegnet werden, Israel wolle den Status quo der heiligen Stätte verändern, die für Palästinenser und rechte Israelis ein nationales Symbol darstellt. Immer wieder besuchen Rechtspolitiker demonstrativ das Areal; Israels Regierung duldet dies, zum Missfallen der Palästinenser. Es sei eine »grundlegende Tatsache«, sagte Kerry an beide Seiten gewandt, dass Muslime dort beten und Angehörige anderer Religionen ein Besuchsrecht haben. Die Videoüberwachung, die offiziell von Jordanien vorgeschlagen wurde, könne dazu beitragen, den heiligen Ort nicht zu missbrauchen.
Doch die Ankündigung hat die Gemüter auf der palästinensischen Seite bislang nicht beruhigen können - im Gegenteil. »Das ist eine Falle«, sagte Palästinas Außenminister Riad al-Maliki im palästinensischen Radio; Israel werde das Material benutzen, um Palästinensern Anstachelung zur Gewalt vorzuwerfen und sie festzunehmen. Netanjahu bestätigte das indirekt. Das Material werde zeigen, »wo die Provokationen tatsächlich herkommen«. Doch in der palästinensischen Öffentlichkeit wird die Ankündigung vor allem als inhaltsleer gesehen. Denn wann und wo die Kameras installiert werden sollen und vor allem, wer die Bilder überwachen wird, ist unklar. Eine Forderung Frankreichs, internationale Beobachter an der heiligen Stätte zu positionieren, lehnt Israels Regierung vehement ab. Azzam Khatib, Direktor der Wakf, die die Anlage im Auftrag Jordaniens verwaltet, sagte, er wünsche sich, dass die Bilder ins Internet übertragen werden; so könne jeder zum Beobachter werden.
Kerry hofft nun darauf, Israelis und Palästinenser zu weiteren Verhandlungen bewegen zu können. In Erinnerung an die Ermordung Jizchak Rabins vor 20 Jahren haben auch Tausende Israelis diese Hoffnung bekräftigt und in Tel Aviv für eine Wiederaufnahme der Nahostfriedensgespräche demonstriert.
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