Neutrales Netz? Fehlanzeige
Europaparlament stimmt für umstrittene Neuerungen der elektronischen Kommunikation
Ab Juli 2017 wird das mobile Telefonieren im EU-Ausland keine zusätzlichen Kosten mehr verursachen. Die sogenannten Roaminggebühren werden dann verboten sein. Und schon im kommenden Juni soll das Telefonieren, Versenden und Empfangen von Kurznachrichten (SMS) oder das mobile Herunterladen von Daten aus dem Internet gegenüber den heutigen Tarifen nochmals billiger werden. Diese Maßnahmen hat das Europaparlament am Dienstag in Straßburg beschlossen.
Sie sind Teil eines »sehr komplexen Pakets«, wie es die CDU-Abgeordnete Sabine Verheyen vor der Abstimmung in einer Aussprache unter den Abgeordneten nannte. Denn außer der Zukunft der Roaminggebühren sind auch europäische Regeln für das Internet im Gesetz enthalten. Dass es Streit um diesen Punkt geben würde, war klar. Doch auch die Roamingbeschlüsse wurden am Dienstag kritisiert: »Die angebliche Abschaffung von Roaminggebühren ist eine Farce«, sagte der österreichische Grüne Michel Reimon. Der Gesetzestext lasse den Telekommunikationsunternehmen Schlupflöcher. Anbieter dürften Verluste mit anderen Gebühren ausgleichen, wenn sie nachweisen, dass sie Inlandspreise absichern müssen. Dadurch könnten Inlandsgespräche teurer werden: »Dass Telefonieren 2017 tatsächlich billiger wird, ist mehr als ungewiss«, so Reimon.
Breitere Kritik und dies sogar aus den Reihen der Fraktionen, die mehrheitlich für das Gesetzespaket stimmten - also den Bürgerlichen (EVP), Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (ALDE) - gab es bei den Neuregelungen für die sogenannte Netzneutralität. Grundgedanke dabei war, dass alle Nutzer des Internets zu gleichen Bedingungen ihre Daten online stellen und verschicken können. Also keine Vorfahrt für denjenigen, der mehr bezahlen kann. Doch die nun beschlossene Formulierung erntet Kritik: Der Text sei in vielen Punkten ungenau und öffne über Ausnahmemöglichkeiten für sogenannte Spezialdienste eben doch die Möglichkeit, Ungleichheit herzustellen. »Was den Verbraucherinnen und Verbrauchern als Erfolg verkauft wird, ist eine riesige Mogelpackung«, wetterte Reimon. Wenn etwa das Internet überlastet sein sollte, wird es nämlich doch Vorfahrt geben können für die, die dafür zahlen. »Das Ergebnis ist ein Zwei-Klassen-Internet, in dem derjenige bevorzugt wird, der mehr bezahlen kann«, so Reimon. Nebenbei sei das eine willkommene Einnahmequelle für die Telekommunikationsgesellschaften. Die »Netzneutralität« werde faktisch abgeschafft.
Wenn das Netz überlastet ist, dürfen Provider ohnehin bereits eingreifen und etwa dafür sorgen, dass Notrufnummern erreichbar sind. Die Vorfahrt für bestimmte Dienste wird in der beschlossenen Verordnung allerdings schon dann erlaubt, wenn eine Überlastung noch nicht eingetreten ist.
Das Wort Netzneutralität hatten die EU-Länder ganz aus dem Text gestrichen. Eine Tatsache, die Evelyne Gebhardt (SPD) nicht gefällt: »Der ursprüngliche Text vom Europaparlament wäre besser gewesen.« Der Kompromiss sei aber ein richtiger und wichtiger Schritt, nur die Niederlande und Slowenien hätten bisher Gesetze zur Netzneutralität verabschiedet.
Die LINKEN-Europaabgeordnete Cornelia Ernst, bezeichnete die Entscheidung als verpasste Chance, »die Netzneutralität ordentlich gesetzlich zu verankern«. Da die Vorgaben viel zu vage seien, werde die Zukunft des Internets nun nicht mehr von der Politik bestimmt, »sondern von Netzbetreibern und Internetmonopolisten wie Facebook«. Martina Michels (LINKE) sagte, die flexible Formulierung des Gesetzestextes öffne Ausnahmen Tür und Tor, »wenn beispielsweise kommerzielle HD-Streamingdienste als Spezialdienst durchgehen während die Übermittlung verschlüsselter Kommunikation gedrosselt wird«.
Auch der Erfinder des Internets, Tim Berners-Lee wandte sich gegen die Regelung. Vor der Abstimmung hatten über 30 Startups, Internetunternehmen und Investoren aus Europa und den USA eine Änderung der Pläne gefordert. Kommentar Seite 4
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