Theater des Staunens

Zum 80. Geburtstag des Schauspielers, Regisseurs und Theaterintendanten Dieter Dorn

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Schön, mit Kleist zu beginnen. Schöner geht’s fast kaum. Obwohl es Erinnerung an einen großen Abschied ist. Kleists »Das Käthchen von Heilbronn« war 2011 Dieter Dorns Schlusspunkt am Münchner Ensemblekönigreich, das er über Jahrzehnte errichtet, bewahrt, gepflegt hatte. Erst an den Kammerspielen, dann am Bayerischen Staatsschauspiel, dem Residenztheater. Kleists Käthchen-Drama! Es erzählt das Schwerste in der Welt: sich mit ganz eigenem Ton in die Stimmgabel des Seins einzuschwingen. Den Weg in ein Paradies mit dauerndem Gefühl gehen zu müssen, deswegen verflucht zu sein. Aber ihn doch zu gehen. Gleichnis für Leben und Kunstausübung.

Dorn, 1935 in Leipzig geboren, 1956 in den Westen geflohen, Schauspieler und Regisseur in den Provinzen, war 1971 Oberspielleiter an den Münchner Kammerspielen geworden; seine Ära war eine Epoche der Königinnen und Könige, und diese Herrscher waren allesamt Schauspieler: Rolf Boysen, Thomas Holtzmann, Helmut Griem, Gisela Stein, Lambert Hamel, Jens Harzer, Cornelia Froboess. Hier hat Thomas Langhoff seine ersten großen West-Inszenierungen vollführt - als er nach der Jahrtausendwende, nach zehn Jahren Intendanz am Deutschen Theater, etwas ratlos um sich sah, war es sein Freund Dorn, der erneut an sein Haus holte. Wo es nie eine Frage war, was mit den Großen würde, wenn sie denn eines Tages große Alte waren.

Dorns Theater, das sich besonders an Shakespeare und am geistperlenden Zeitklassiker Botho Strauß befeuerte, war stets ein Theater des Staunens, der Wunderdroge Wort, des literaturgläubigen Hineingleitens in ein Stück. Dieser Regisseur sprang nicht in den Text wie in Geröll, er trampelte sich keine Pfade durch die Handlung, er schnitt den Dichtern keine Schleifenwege ab - er ist nach wie vor ein Virtuose des bedächtigen horchenden Malens, er strahlt in Demut vor dem Thron der Weltdramatik. Jenem Lichteinfall, den Dichtung wirft, war er stets näher als dem Regieeinfall, der nur aus modischen Sonnen flimmert.

Wenn ein Ensemble aus der Welt geht, stimmt Max Reinhardts Satz von der Unsterblichkeit des Theaters überhaupt nicht mehr. Denn da stirbt etwas. Wir sagen kokett: Der Vergehensmoment sei Teil der Einzigartigkeit von Bühnenkunst. Plötzlich durchleiden wir die ganze Wahrheit: Vergänglichkeit ist ihr schlimmster Teil. Im »Käthchen« trat der alte Intendant Dorn zu Beginn selber auf, hinten weiß gestrichene Brandmauern (Schminke gegen die nackte Wirklichkeit) - er winkte wie ein Gott die Spieler aus den Seitengassen, sie stiegen in ihre Kostüme. Am Schluss war Dorn dann Kleists Kaiser, er hatte wunderschön selbstironische Deklamierens-Momente, und als in der letzten, der Hochzeits-Szene, schon wieder Streit aufzufackeln drohte, da baute er sich, die Hände ausbreitend, vor der Truppe auf und rief das abschließende Macht-Wort, dies alles endigende Ohnmachts-Wort: »Aus!« Nein. Am 31. Oktober wird Dieter Dorn 80.

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