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»Was uns morgen erwartet«

Transhumanismus ist umstritten. Doch die Idee drängt in immer mehr Ländern auf die parteipolitische Bühne - auch in Deutschland

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 7 Min.

»Wird der nächste US-Präsident ein Cyborg sein?«, fragte sich vor einiger Zeit das Magazin »Wired«. Ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine an der Spitze einer Weltmacht? Und das schon bald?

Daran glaubt nicht einmal Zoltan Istvan selbst, der Gründer der Transhumanistischen Partei der USA. Seit aber bekannt ist, dass er bei den Wahlen 2016 gegen die Kandidaten von Demokraten und Republikaner antreten will, muss der 42-Jährige immerfort solche Fragen beantworten. Das liegt nicht nur an der Idee, ein Cyborg könne US-Präsident werden.

Mehr noch sorgt die Weltanschauung dahinter für Skepsis. Schon seit längerem wird über den Transhumanismus diskutiert. Strittig. Für die einen ist er »die neue zerstörerische Weltreligion des Neoliberalismus und der Umweltzerstörung«, wie es der BUND-Funktionär Axel Mayer formuliert. Für andere wie etwa den Technikjournalisten Boris Hänßler eine Idee, die ernst genommen werden sollte weil sie »wichtige Diskussion über das Menschsein provoziert«.

Singularitaristen, Extropianer, transhumanistische Sozialisten

Dabei ist es nicht gerade einfach, das Konzept »Transhumanismus« überhaupt auf einen stimmigen Nenner zu bringen. In der Philosophie befasst sich die Denkrichtung mit der Überwindung der Grenzen menschlicher Möglichkeiten durch technologische Verfahren. Es gibt Transhumanisten, die sich voll und ganz auf die Idee versteift haben, mittels Technik unsterblich zu werden und die daraus einen religionsartigen Kult machen. Eine Richtung widmet sich dem Projekt einer Beschleunigung der Evolution, die so genannten Extropianer. Andere werden als Singularitaristen bezeichnet, was auf eine Idee des Futurologen und Wissenschaftlers Ray Kurzweil zurückgeht, der einen gesellschaftlichen Entwicklungssprung für jenen Moment voraussagt, an dem künstliche Intelligenz der menschlichen überlegen sein wird. Es gibt demokratische Transhumanisten und transhumanistische Sozialisten. Und wenn man eine Gemeinsamkeit formulieren müsste, wäre es naheliegend, die Hoffnung zu unterstreichen, die bei aller Unterschiedlichkeit überall in transhumanistischen Kreisen anzutreffen ist - Hoffnung in die Potenziale von Nanotechnologie, von neuen Fähigkeiten der Gentechnik und Biotechnologie, von Kryonik und den immer leistungsfähigeren Informationstechnologien.

Das ist auch der zentrale Punkt, an dem Zoltan Istvan mit seiner Partei ansetzt. Die Menschen würden »sich nicht genug mit existentiellen Themen beschäftigen«, zitiert ihn »Wired« und erklärt auch, was das für welche sind: Roboter und künstliche Intelligenz, Forschung zur Verbesserung der Lebenserwartung. Istvan hält es nicht für akzeptabel, dass in den USA etwa 20 Prozent des Etats für Rüstung ausgegeben werden, aber nur zwei Prozent für Wissenschaft. Das soll sich ändern - und eine Organisation wie die Transhumanistische Partei soll dabei helfen.

Während der US-Amerikaner bereits vorrechnen kann, seine Partei zähle auf 20.000 Anhänger, muss Marcel Mayr derzeit noch kleinere Brötchen backen. Der studierte Kybernetiker und Informationswissenschaftler lebt in Stuttgart und hat die Transhumane Partei Deutschland initiiert. Das Projekt steht am Anfang, derzeit zählt man etwa 30 Mitglieder in Bundesländern. Die deutschen Transhumanen treffen sich bei Stammtischen und denken über die Zukunft nach. Man kann das ganz wörtlich verstehen.

Progressiv, futuristisch, humanistisch, individualistisch, libertär und sozial

Denn es geht nicht nur um die organisatorischen nächsten Schritte. Die Partei ist erst Ende September gegründet worden. Erklärtes Ziel ist, sagt ihr Vorsitzender Mayr gegenüber »nd«, 2017 zu den Bundestagswahlen anzutreten. Es gibt Leitlinien und ein Parteiprogramm. Und wer Mayr fragt, wohin die Reise gehen soll, antwortet der mit der Überzeugung, die Transhumanen können »Wegbereiter für Moderne, Rationalität, Technologie und Forschung sein«, für Faktoren also, welche eine Zukunft bereiten sollen, »die allen Menschen Freiheit, persönliche Entwicklung und ein gesundes langes Leben« ermöglicht.

So wie Zoltan Istvan in den USA derzeit aber vor allem damit beschäftigt ist, Ängste gegenüber künftiger Forschung und Technik abzubauen, hat auch Marcel Mayr mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. »Niemand möchte gewogen, bewertet, genötigt, ausgeschlossen, überwacht, fremdgesteuert oder ausrangiert werden«, sagt er - genau das sei »oftmals die einseitige Schlussfolgerung«, die Menschen aus der sie umgebenden Entwicklung moderner Technologien ziehen. »Wir verstehen das«, so Mayr, wirbt aber zugleich dafür, die Potenziale von Digitalisierung, Medizin, intelligenten Systemen, Big Data oder Nanotechnologie zu erkennen. Frei, sozial, humanistisch soll es auch in einer Zukunft zugehen, die viel offener für Technik ist.

»Wir können vom Meer erzählen«

Erst einmal aber werden Fragen gestellt. »Wie willst Du leben und was brauchen wir dazu?« Wer sich das Programm der Transhumanen Partei Deutschland anschaut, findet dort Forderungen wie die nach einem kostenfreien Zugang zu Bildung, Wissenschaft und digitalen Gütern, auch ein Bedingungsloses Grundeinkommen wird diskutiert, neue Technologien sollen »nicht primär durch kommerzielle Interessen« motiviert sein, sondern vor allem Mensch und Umwelt dienen. Es geht um »technologische Selbstbestimmung« und die »Abschaffung allen unfreiwilligen Leids«.

Das klingt ein bisschen nach Piratenpartei, aber Mayr nimmt für seine Neugründung einen »größeren, einen viel tiefgreifenderen Ansatz« in Anspruch. »Netzpolitik ohne Vision«, das reiche ihm nicht. »Als kleine Partei können wir das Ruder nicht rumreißen«, weiß Mayr. »Wir können auch nicht ein neues Schiff bauen, aber wir können vom Meer erzählen und aufzeigen, was möglich ist.«

Gegenwind von rechts, Kritik von links

Dass beim Stichwort »Transhumanismus« viele an spinnerte Ideen denken oder gar an eine Weltanschauung, die der konservative Historiker Francis Fukuyama schon 2004 als die »gefährlichste Idee der Welt« bezeichnet hat, ist vielleicht eine Art Grundschicksal derer, die einen Begriff von einer Zukunft haben, die sich nicht im Raster von Legislaturperioden messen lässt.

Aber was ist auch schon zu halten von Visionen, nach denen man sein Bewusstsein auf digitale Speicher hochladen kann, und so den »alten Menschen« hinter sich lässt? Wer entscheidet später darüber, wer in Genuss neuer technologischer Möglichkeiten kommt? Und fehlt nicht überhaupt die politökonomische Kritik als Grundlage gesellschaftlicher Veränderung?

Zwar kommt der schärfste Gegenwind für die Transhumanisten, die sich in globalen Netzwerken zusammenschließen und inzwischen Organisationen von Russland bis Spanien, von Polen bis zu einer Welt-Partei haben, von rechts und aus Kirchenkreisen.

Aber auch von links wird Kritik laut, zum Beispiel wird vorgebracht, dass die Idee auf einem reduktionistischen Menschenbild beruhe und technizistisch sowie elitär-technokratisch sei oder gar, etwa mit Blick auf Eugenik, anschlussfähig für reaktionäre Positionen. Mit einer gewissen Skepsis wird von links auch beobachtet, dass der Transhumanismus Dank seiner Nähe zu neuer Technik recht viele Fürsprecher unter den Techno-Milliardären der New Economy hat.

Die Zukunft lässt sich nicht aufhalten

Mayr glaubt, dass Transhumanismus »genau das Gegenteil« von dem ist, »was die meisten Menschen darunter verstehen«. Ihm geht es darum, »Gesundheit, Mobilität, Energie, Sicherheit, Automatisierung, Wissen und Bildung, Soziales und Arbeit zu demokratisieren«, durch die Nutzung digitaler Potenziale »das nach Wissenstand jeweils Sinnvollste und Beste planvoll umzusetzen«. Was die Partei auszeichnet? Sie sei »progressiv, futuristisch, humanistisch, individualistisch, libertär und sozial«, sagt Mayr.

Man werde, sagt der technoprogressive Neu-Politiker, »die Zukunft nicht aufhalten wollen und können«. Ein »sehr langes gesundes Leben, autonome Maschinen in allen Bereichen, künstliche Super-Intelligenz, das Internet der Dinge mit verbundener Datenerfassung, magisch anmutende Kontrolle von Energie und Materie« - all das werde »nicht verhindert und vielleicht sogar nicht einmal großartig verzögert werden«. Als entscheidend sieht es Mayr aber an, »wie wir uns als Gesellschaft vorbereiten und Entwicklungen steuern«, davon hänge dann auch ab, »ob alle oder nur wenige davon profitieren«.

Ob »der nächste US-Präsident ein Cyborg sein« wird, wäre dabei wohl eher eine Randnotiz. Ob es wirklich einmal »normal« sein wird, seinen biologischen gegen einen Roboter-Arm einzutauschen, wie Zoltan Istvan glaubt, sei dahingestellt. Marcel Mayr jedenfalls möchte jeden, »der angstvoll nach hinten oder unsicher ins Heute schaut«, davon überzeugen, »was uns morgen erwartet«. Aus seiner Sicht: etwas Positives. Die Transhumane Partei, sagt Mayr, könne »ein Türöffner werden«.

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