Förderung mangelhaft
Erwerbslose im Hartz-IV-System bekommen keine angemessene Unterstützung
Die Zahl der Flüchtlinge, die sich in den nächsten Monaten hierzulande arbeitslos melden wird, macht nach Ansicht von Wilhelm Adamy ein grundlegendes Defizit der deutschen Arbeitsmarktpolitik sichtbar: die »chronische Vernachlässigung der Hartz-IV-Arbeitslosen« - immerhin rund zwei Millionen Betroffene. Adamy, Arbeitsmarktexperte des DGB und Mitglied in der Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist hinsichtlich der Integration von Migranten skeptisch: Etwa jeder zehnte registrierte Arbeitslose stamme mittlerweile aus Bürgerkriegsregionen.
Adamy sieht die Jobcenter seit längerem finanziell und personell unterversorgt. So investiere die BA in die diversen Vermittlungs- und Qualifizierungsinstrumente rund zehn Milliarden Euro jährlich. Dagegen »schafft« das Fürsorgesystem gerade mal 4,2 Milliarden Euro an Aktivitäten. Dabei versammeln die Jobcenter inzwischen rund 70 Prozent aller Erwerbslosen. Die Berliner Koalition ahnt, was auf sie zukommt: Zwischen 1,8 und 3,3 Milliarden Euro wollen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zusätzlich lockermachen.
Die Jobcenter sind öfter mit Problemen konfrontiert, die eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt erschweren. Stärker noch als im Versicherungssystem benötigen Hartz-IV-Arbeitslose Hilfe und Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung, meint Adamy. Die Förderchancen für Arbeitslose in den Jobcentern seien jedoch deutlich schlechter als im Versicherungssystem.
Insbesondere die finanzielle Mittelausstattung und die Förderung der beruflichen Weiterbildung müsse im Hartz-IV-System dringend verstärkt werden, wenn die Wettbewerbsnachteile Erwerbsloser verringert werden sollen. »Eine bessere Aus- und Weiterbildung für Hartz-IV-Empfänger ist ein zentraler Schlüssel, um Arbeitslosigkeit beenden zu können«, betont Adamy. Bund und Länder seien gefordert, eine nachhaltige, abschlussorientierte Qualifizierungsinitiative auf den Weg zu bringen.
Die gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Selektionsprozesse verschlechterten die Arbeitsmarktchancen von Menschen mit Vermittlungshemmnissen wie chronischen Krankheiten oder Süchten, erläutert der Gewerkschafter. Hartz-IV-Bezieher haben zudem häufiger eine niedrigere Qualifikation und sind öfter und länger von Arbeitslosigkeit betroffen. Arbeitslosengeld-I-Bezieher werden viermal häufiger beruflich eingegliedert als Arbeitslosengeld-II-Bezieher.
Im Wettbewerb um sozialversicherte Jobs sind Letztere ebenfalls deutlich unterlegen. Belastet wird die Situation durch die häufig lange Hilfebedürftigkeit. Etwa drei Viertel der arbeitslosen Fürsorgeempfänger sind länger als ein Jahr im Hilfebezug. Die vorangegangene Beschäftigung war oftmals von nur kurzer Dauer oder der Job nicht existenzsichernd; häufig mussten sie aufstockend Arbeitslosengeld II beantragen.
Die Personengruppen benötigen meist spezielle Unterstützung. In der Praxis wird dem kaum Rechnung getragen. So kommen arbeitsmarktpolitische Instrumente im Hartz-IV-System seltener zum Einsatz als in der Arbeitslosenversicherung. Seit Jahren haben sich die Förderchancen zudem stärker reduziert als die Arbeitslosigkeit abgebaut wurde. Grundsätzlich ist das Problem bekannt: Nach Bekanntgabe der Arbeitsmarktzahlen am Donnerstag sagte Nahles, die bundesweit mindestens 600 000 offenen Stellen zeigten den Bedarf an weiteren Maßnahmen. Deshalb müsse die Frage der Qualifizierung von An- und Ungelernten in Tarifverträgen, Betrieben, aber auch arbeitsmarktpolitisch angegangen werden.
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