»Es ist eine Ehre, für Belarus zu starten«

Zwei US-Turnerinnen wollen zu den Olympischen Spielen nach Rio - also starten sie neuerdings für Belarus

  • Frank Thomas, Glasgow
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Fall sorgt für Aufsehen in der Turnwelt: Zwei US-Amerikanerinnen starten bei der WM in Glasgow für Belarus. Ein Land, in dem sie noch nie waren. In den USA lösten die beiden einen Shitstorm aus.

Das bizarre Wechselspiel zweier US-Turnerinnen erregt die Gemüter in der Sportwelt. Kylie Dickson und Alaina Kwan haben bei den Weltmeisterschaften in Glasgow für so viel Aufsehen gesorgt wie sonst nur Stars vom Rang des japanischen Weltmeisters Kohei Uchimura oder Simone Biles. Kwan und Dickson turnten aber nicht etwa im siegreichen US-Team, sondern in den Anzügen von Belarus. Ein Land, dessen Sprache sie nicht sprechen - und dem sie auch noch nie einen Besuch abstatteten.

Über die sozialen Netzwerke löste der Start für das von Präsident Alexander Lukaschenko autoritär geführte Land eine Beschimpfungsarie aus, viele Amerikaner warfen den beiden Frauen »unpatriotisches Verhalten« vor. Auch Fans und Turnexperten schütteln den Kopf.

Sichtlich genervt reagierten beide in der Hydro Arena auf Nachfragen zu ihrem ungewöhnlichen Wechsel. »Ich wollte mal bei einer Weltmeisterschaft Erfahrungen sammeln. Und ich hatte Spaß dabei. Alles andere blende ich aus«, verteidigte sich die 17-jährige Kwan. Auch ihr Vater habe sie zu ihrem ungewöhnlichen Schritt ermutigt. Die Frage, ob sie denn demnächst russisch lernen wolle, überhörte sie geflissentlich.

Im Juli hatten beide Turnerinnen bei den US-Classics auf den Plätzen neun und elf die Qualifikation für die amerikanische WM-Riege verpasst. Danach entstand bei ihren Heimtrainern Galina Marinowa und Artur Akopjan die Idee von der WM- und vielleicht auch Olympiateilnahme über den Umweg Belarus. Der Sprungweltmeister von 1983 für die UdSSR und die bulgarische Olympiateilnehmerin von 1980 ließen ihre Beziehungen spielen und fanden bei der einstigen Starturnerin Nellie Kim offene Ohren.

»Wenn ich um Rat gebeten werde, dann helfe ich. Mehr ist dazu nicht zu sagen«, erklärte die fünfmalige Olympiasiegerin, die heute dem Technischen Komitee des Weltverbandes FIG vorsitzt, bei der offiziellen Pressekonferenz.

Doch nicht zufällig ist Nellie Kim auch die Vizepräsidentin des Turnverbandes von Belarus, der derzeit keine Weltklasseathletin in seinen Reihen hat. Umgehend erhielten die beiden Teenager neben der amerikanischen also auch die Staatsbürgerschaft von Belarus. »Unsere Trainer haben das so entschieden. Und wir sind froh, dass wir hier sein können«, kommentierte die 16-jährige Kylie Dickson. »Es ist eine Ehre, für Belarus zu starten.«

Zugleich gab sie zu, keinerlei Kontakt zu ihrem neuen Team zu haben. »Unser Trainer hat gute Kontakte zu Nellie Kim, und das ist eben unsere Art der Verbundenheit«, meinte Dickson. Doch Alaina Kwan offenbarte auch einen Gewissenskonflikt: »Ich war mir nicht sicher, wie ich mich im Trikot von Belarus fühle, denn ich bin Amerikanerin. Aber ich sehe die Vorteile: Ich kann durch die Welt reisen. Ich mache das nur für ein anderes Land.«

Ihre Reise dürfte weitergehen. Denn durch die Plätze 71 (Kwan) und 73 (Dickson) holten sie in Glasgow einen Einzelstartplatz für Belarus bei den vorolympischen Tests im April 2016 in Rio de Janeiro. Wer von beiden um das Olympiaticket kämpfen darf, soll erst im Frühjahr entschieden werden. dpa/nd

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