Wenn der große Fußball vorbeischaut
Beim Pokalaus gegen Stuttgart zeigt sich Carl Zeiss Jena von seiner besten Seite, nur ein paar Fans scheren aus
So etwas hat Fußball-Jena seit Jahrzehnten nicht gesehen. 18 000 Besucher beim DFB-Pokal-Spiel gegen den VfB Stuttgart bedeuteten Nachwenderekord für das mit zwei Zusatztribünen und einer mobilen Flutlichtanlage aufgemotzte Ernst-Abbe-Sportfeld. Trotz der 0:2-Niederlage des Viertligisten FC Carl Zeiss gegen den Bundesligavertreter feierten Fans und Spieler den Abend und sich selbst. Bei der Ehrenrunde des Außenseiters sah man nur strahlende Gesichter. »Es war eine Riesenwerbung für Jena und den Fußball in Thüringen. Die Zuschauer hatten ein Riesenerlebnis«, meinte Jenas Trainer Volkan Uluc. »Wir haben einen Riesenkampf abgeliefert. Wenn die Entscheidung erst kurz vor Schluss fällt, kann man als Underdog zufrieden sein.«
Lob gab es auch von Seiten der Stuttgarter, die Mitte der ersten Hälfte durch Martin Harnik in Front gegangen waren und erst in der Nachspielzeit zum zweiten Treffer kamen. Alexandru Maxim verwandelte einen Elfmeter, nachdem Niklas Erlbeck zuvor wegen Handspiels auf der Torlinie die Rote Karte gesehen hatte. »Wir haben drei Gewinner. Der eine waren Gott sei Dank wir«, zeigte sich VfB-Trainer Alexander Zorniger erleichtert. »Der zweite war die Mannschaft von Carl Zeiss Jena, die eine engagierte Leistung zeigte. Der dritte war das Publikum, dass Jena euphorisch bis zur letzten Sekunde nach vorn peitschte. Das zeigt, was möglich ist, wenn der große Fußball da ist.«
Wie schon beim Ligaspiel gegen den Berliner AK (3:1) standen den Fans auf der Gegengerade und in der Nordkurve Zusatztribünen zur Verfügung. Der Knüller war aber das aus England geliehene Flutlicht. Die Kosten für Miete und Aufbau der Masten lagen bei rund 100 000 Euro, wovon die Stadt als Eigentümer des Abbe-Sportfeldes 75 000 Euro zahlte.
Die kurzzeitige Rückkehr der »Giraffen« sorgte bei Jenaern für »Lampenfieber«. Schließlich konnten fast zweieinhalb Jahre lang keine Nachtspiele im Stadion stattfinden. Im Sommer 2013 hatten die Behörden die 39 Jahre alten Masten nach einem Hochwasser wegen Sicherheitsbedenken abreißen lassen. Das passte damals zur sportlich bescheidenen Situation des einstigen Vorzeigevereins, der die ewige Tabelle der DDR-Oberliga anführt. Seit 2012 ist Jena viertklassig.
Mittlerweile zeigt sich aber auch im übertragen Sinn Licht am Ende des Tunnels. Die stark verjüngte Mannschaft spielt in der Regionalliga oben mit. In der ersten Runde des DFB-Pokals konnte der Hamburger SV bezwungen werden (3:2 n V.). Jener Sieg hatte Jena aber infrastrukturell in Nöte gebracht. Denn mangels Flutlicht hätte man für die in der Woche ausgetragene 2. Runde in ein anderes Stadion ausweichen müssen. Das wollten Verein und Fans nicht, auch um sich selbst ins Schaufenster stellen zu können.
Jahrelang kämpften sie um ein neues Stadion. Erst vor einem Monat winkte der Stadtrat die Modernisierung durch: Die Arena soll ab dem Frühjahr 2017 in ein reines Fußballstadion für mindestens 15 000 Besucher umgebaut werden. Die Stimmung im alten Gewand am Mittwoch gefiel auch dem Stuttgarter Totschützen Martin Harnik, auch wenn es für die Stuttgarter Profis schon auf dem Weg vom Bus in die Kabine von Jenaer Anhängern verbale Spitzen gab. »Das war mal wieder ein ehrliches Fußballspiel und nicht so steril wie in der Bundesliga, wo man schon mit dem Bus in die Kabine fährt«, sagte der Österreicher.
Nicht ins Bild passte allerdings, dass Zeiss-Fans mehrfach Pyrotechnik zündeten. Ein Ordner zog sich durch einen Böllerwurf sogar eine Platzwunde im Gesicht zu. Er konnte nach kurzer Behandlung zum Glück wieder nach Hause. Eine Strafe seitens des DFB droht den Thüringern aber trotzdem. Zudem kam es nach dem Schlusspfiff zu Auseinandersetzungen zwischen 40 Stuttgartern und 20 Fans von Carl Zeiss im Stadtzentrum. Um die Lager zu trennen, setzte die Polizei auch Pfefferspray ein.
Sportlich kann die Fallhöhe für Jena kaum höher sein. Die Lkw rollten am Donnerstagvormittag wieder mit den mobilen Masten davon. Auch die Zusatztribünen verschwinden wieder. Am Sonntag spielt Jena bei RB Leipzig II vor wahrscheinlich nicht einmal 1000 Zuschauern. »Es wird anders sein, aber wir wollen auch im Alltag bestehen. Sicherlich ist es schade, dass die Zusatztribünen abgebaut werden«, sagte Jenas Routinier Rene Klingbeil. »Es war schon eine besondere Atmosphäre. Aber irgendwann hat auch Jena ein neues Stadion, da freuen wir uns alle riesig drauf. Wir hoffen, dass solche Abende wie gegen Stuttgart dann öfter kommen.«
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