Was wird nun aus Polen?
Die Kaczynski-Partei geht an die Umsetzung ihrer Pläne einer IV. Republik
Die triumphierende Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), die nun zwischen Oder und Bug die Alleinherrschaft übernimmt, veranlasst den seit 23 Jahren für »nd« berichtenden polnischen Beobachter politischer Geschehnisse zu einigen Reflexionen. Es ist dies der zweite Anlauf zur Schaffung einer »sozial-positiven«, aber autoritären IV. Re-publik. Die erste dauerte von 2005 bis 2007 und endete in Skandalen. Der ehemalige Ministerpräsident und PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński will jetzt das »in Ruinen« liegende Polen »von neuem aufbauen«.
Nach ausländischen Pressebewertungen soll der acht Jahre regierenden »links-konservativen« »Bürgerplattform« (PO) eine »rechtskonservative« Regierung folgen. Derartiges Vokabular (nach Max Weber und Rolf Dahrendorf zu den gesellschaftlichen Schichten) ist zwar für den allgemeinen politischen Gebrauch aus marxistischer Sicht wenig tauglich. Auch die Bezeichnung »Prekariat« an Stelle des Proletariats ist nicht zutreffend. In Polen besteht nach wie vor eine Klassengesellschaft, und daran sollte sich die Linke, wenn sie diesen Namen verdient, halten.
Unter den Politologen und Gesellschaftswissenschaftlern stellte der liberale Professor Janusz Czapinski in diesem Jahr fest, dass 85 Prozent der Polen glücklich seien. Das passt nicht zum Fernbleiben von fast 50 Prozent der Polen bei den jüngsten Sejmwahlen. Sowohl die PO als auch die PiS habe ihre Wurzeln in dem intellektuellen Beratergremium der »Solidarnosc«-Revolution von 1980.
Die noch existierende Gewerkschaft »Solidarnosc«, seit fünf Jahren von Piotr Duda geführt, ließ sich von den sozialen Versprechungen der Kaczyński-Partei ködern. Sie sah, dass die PO eine Partei der erfolgreichen »feinen Leute«, der Gewinner der »freiheitlichen« Wende darstellt, die PiS dagegen hält es, so glaubte man, mit den armen Leuten. Auf die etablierte Linke setzten beim Urnengang nur 1,1 Millionen von etwa 15 Millionen aktiven Wählern.
Auf eine Antwort auf die geläufige Gretchenfrage »Was wird nun aus Polen?« müssen wir noch warten. Ob es nun besser oder nur anders wird, werden wir erst in einigen Monaten sehen. Adam Michnik, Chefredakteur der im bürgerlichen Lager tonangebenden »Gazeta Wyborcza« schrieb, es werde in Polen ein autoritäres System nach dem Putinschen Muster geben. Janusz Rolicki war im »Super-Express« anderer Meinung: Die von 1926 bis 1939 herrschende »Sanacja« (Gesundung) unter Marschall Jozef Pilsudski sei Kaczyńskis Vorbild. Dass dieser es dem Ungarn Viktor Orban nachmachen will, war seit seinem Spruch »Wir werden in Warschau ein Budapest haben« seit langer Zeit bekannt, schreckte jedoch eine Mehrheit nicht ab. Kaczyński ist von einer quasi-nationalistisch und katholisch gefärbten Mission besessen, die auf eine von ihm geforderte »stärkere Position« Polens in der »von Flüchtlingen bedrohten Europäischen Union« hinausläuft. Er als Häuptling im PiS-Stamm, der ihm treu ergebene Staatspräsident Andrzej Duda sowie die designierte Regierungschefin Beata Szydło garantieren einen konsequenten Rechtsruck.
Angekündigt wurden bereits Verfassungsänderungen, die mit den Stimmen der Abgeordneten der konservativen Bewegung des Rockmusikers Kukiz wie vielleicht auch mit Zustimmung der wirtschaftsliberalen Partei Nowoczesna des Bankers Ryszard Petru möglich sein sollten. Eine totale Neubesetzung in allen acht »Diensten« unter Koordination von Mariusz Kaminski ist ebenfalls kurzfristig zu erwarten. Angesagt ist auch der Versuch, führende Leute in staatlichen Medien auszutauschen. Auch für Polens Außenpolitik sind gravierende Konsequenzen zu erwarten.
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