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Die EZB ist zu mächtig

EU-Abgeordneter Sven Giegold über die Probleme bei der Bankenunion

  • Lesedauer: 4 Min.

Sie haben vor kurzem eine Beschwerde gegen die Europäische Zentralbank (EZB) bei der EU-Bürgerbeauftragten eingereicht. Es geht um das AnaCredit-Register, in dessen Rahmen die Banken ab Ende 2017 bei jedem Kredit, der höher als 25 000 Euro ist, über 120 Daten an die Zentralbank übermitteln sollen. Sie nennen dieses Kreditregister eine »EZB-Datenkrake«. Meinen Sie, dass die Notenbank durch die Krise zu mächtig geworden ist?

Ja. Die EZB ist inzwischen nicht mehr nur für die Geldpolitik, die Bankenaufsicht und die Finanzmarktstabilität zuständig, sie stabilisiert auch die Konjunktur in der Währungsunion. So versorgt sie die Staaten über den Kapitalmarkt mit günstigen Krediten. Dabei muss sich die EZB zwar vor dem Europaparlament verantworten, doch direkt demokratisch legitimiert ist sie nicht.

Vor genau einem Jahr hat die EZB eine weitere wichtige Aufgabe hinzubekommen: Als Teil der Bankenunion überwacht sie die 123 größten Banken der Eurozone.

Ihr diese Aufgabe anzuvertrauen, war ein Fehler, aber unvermeidlich. Der Grund für diese Konstruktion ist ein juristischer: Eine neue, eigenständige Behörde als Bankenaufsicht wäre nur mit einer derzeit unerreichbaren Änderung der EU-Verträge rechtssicher möglich gewesen.

Also ist die Bankenunion, mit der die europäische Finanzwelt krisenfest gemacht werden sollte, nicht perfekt?

Sie ist alles andere als perfekt. Aber sie ist ein großer Fortschritt. Die Großbanken werden jetzt europaweit einheitlich reguliert. Wie groß ihre Macht in den einzelnen Ländern ist oder wie sehr sie dort als Arbeitsplatzfaktor wahrgenommen werden, ist dadurch bei der Regulierung nicht mehr ausschlaggebend. Das wird sicherlich dazu beitragen, dass unerwünschte Kungeleien zwischen Finanzinstituten und den nationalen Aufsichtsbehörden massiv erschwert werden.

Aber kann ein strauchelndes Institut im Notfall nun planmäßig und schnell genug abgewickelt werden?

Ob eine Großbank, die aus Tausenden Einzelgesellschaften besteht, in der nötigen Geschwindigkeit abgewickelt werden kann, wird immer ein Risiko bleiben. Bisher wurde eine solche Abwicklung noch nicht durchgeführt. Ob dies künftig gelingt, hängt sehr davon ab, ob der Abwicklungsmechanismus seine Rechte nutzt, die Banken vorab zu einer Reduktion ihrer Komplexität zu zwingen.

Sechs EU-Staaten, darunter Luxemburg und die Niederlande, haben dafür jedoch noch nicht die nötige Rechtsgrundlage geschaffen.

Deswegen hat die EU-Kommission zurecht ein Vertragsverletzungsverfahren gegen diese Länder eingeleitet. In Ländern ohne nötige Rechtsgrundlage kann eine Bankenabwicklung natürlich erst recht nicht funktionieren.

Die Spitzen der EU meinen offenbar auch, dass die Bankenunion noch nicht perfekt ist. In ihrem Fünf-Präsidenten-Bericht sprachen sich die Leiter der wichtigsten europäischen Institutionen für weitere Reformen aus.

Dabei stützt sich das Papier aber zu einseitig auf die Schaffung eines europaweiten Einlagensicherungssystems. So etwas ist zwar richtig und wichtig, doch müssen alle Schwächen der Bankenunion angegangen werden. Zudem sind einige Aspekte einer europäisierten Einlagensicherung durchaus auch problematisch.

Welche meinen Sie da?

Es muss zumindest gewährleistet werden, dass die Sparkassen und Genossenschaftsbanken ihre Institutssicherung weiter betreiben können. Ansonsten werden diese dezentralen Bankengruppen, die gemeinwirtschaftlich oder öffentlich orientiert sind, praktisch zerstört.

Eine weitere Schwäche ist der Bankenrettungsfonds, der derzeit aufgebaut wird. 55 Milliarden Euro sollen die Banken bis 2024 einzahlen. Doch zumindest die deutschen Institute hinken ihren Verpflichtungen weit hinterher …

Dies liegt an den großzügigen Regelungen der früheren Bundesregierung für die deutschen Banken.

Und wie sieht es auf europäischer Ebene aus?

Der gemeinsame Abwicklungsfonds tritt erst zum 1. 1. 2016 in Kraft. Die Vergemeinschaftung der nationalen Fonds beginnt erst, wenn die nationale Ratifizierung der Regeln weitgehend abgeschlossen ist. Davon sind wir noch weit entfernt.

Würden die 55 Milliarden Euro im Ernstfall überhaupt ausreichen?

Die Summe ist natürlich zu niedrig. Die Geldhäuser müssen jetzt aber mindestens acht Prozent Eigenkapital vorhalten, die im Falle einer Schieflage zur Rettung verwendet werden. Auch die Gläubiger werden nun herangezogen. Bei den allermeisten Banken, die im Rahmen der Krise 2008 von den Staaten gerettet wurden, hätte dies genügt. Insofern gibt es jetzt einen vergleichsweise guten Schutz der Steuerzahler.

Ist das Versprechen, dass die Bürger nie wieder für die Banken haften müssen, dann eingelöst?

Nein. Man kann einen Fonds gar nicht so groß machen, dass dieser einen Systemzusammenbruch abfedern könnte. Auch die Banken haben nicht genügend Kapital. Wenn das Finanzsystem als Ganzes kollabiert, haften am Ende immer die Bürger. Die beste Absicherung ist immer noch, das ganze System sicherer zu machen. Das geht nur mit einer anderen Wirtschaftspolitik, die die hohe Konzentration von Vermögen und Schulden senkt und Investitionen fördert.

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