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Großrazzia gegen international organisierte Fluchthelfer

Frontex-Chef: Flüchtlinge »notfalls inhaftieren« / Athen: Wir werden Flüchtlinge nicht einsperren / SYRIZA-Regierung dämpft Erwartungen an Hotspots / Umverteilung von 30 Asylsuchenden nach Luxemburg / Festung Europa fordert neue Opfer

  • Lesedauer: 10 Min.

Update 15.30 Uhr: Pro Asyl: Flüchtlinge schaffen es nur selten ohne Schleuser-Hilfe
Flüchtlinge schaffen es nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl nur selten, ohne die Hilfe von Schleusern nach Deutschland zu gelangen. »Die meisten Flüchtlinge bedienen sich auf ihrer Flucht in irgendeiner Form Dritter«, sagte der stellvertretende Geschäftsführer Bernd Mesovic der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch in Frankfurt/Main. Die meisten Flüchtlinge erzählten, dass sie ihre Flucht nicht von Anfang bis Ende »gebucht« hätten, sondern abschnittweise vorgegangen seien. Schleuser besorgten etwa Papiere für das Verlassen des Heimatlandes oder Schiffe, um Europa erreichen zu können.

Die Dienste der Schleuser würden von den Flüchtlingen unterschiedlich beurteilt: »Es gibt Flüchtlinge, die ihren Schleusern dankbar sind. Und es gibt Leute, die realisieren, dass er sie in Gefahr gebracht hat«, sagte Mesovic weiter. »Das meiste, was man hört, ist: Ich hatte keine Wahl.« Mesovic geht davon aus, dass die Leute in einer bestimmten Drucksituation immer das Angebot eines Schleusers wahrnehmen, solange es keine regulären Wege und gefahrlose Zugänge gibt.

Update 14.00 Uhr: LINKEN-Abgeordneter Hunko fordert »Fähren statt Frontex«
Der LINKEN-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko fordert »Fähren statt Frontex und EU-Militär«. In einer am Mittwoch veröffentlichen Erklärung schreibt er: »Allein die Medienarbeit der EU-Militärmission gegen libysche Fluchthelfer/innen kostet 535.000 Euro. Mit dem Geld werden Journalist/innen auf einen Flugzeugträger eingeflogen sowie ein Twitter-Account bedient. Für die halbe Million könnten aber auch 10.000 Fährtickets für schutzsuchende Geflüchtete gekauft werden. Damit ließen sich weitere menschengemachte Katastrophen mit weiteren Ertrinkenden verhindern«. Hunko richtet sich damit an das Auswärtige Amt, das eine Kleine Anfrage von der Politikern der Linksfraktion im Bundestag, beantwortet hat. Mit einer der militärischen Mission EUNAVFOR MED geht die Europäische Union (EU) derzeit gegen unerwünschte Migration im Mittelmeer vor. Ziel ist, das »Geschäftsmodell der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetze« im südlichen zentralen Mittelmeer zu »zerschlagen«.

Update 11.45 Uhr: Zyprische Küstenwache rettet 26 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer
Die zyprische Küstenwache hat 26 Flüchtlinge aus Syrien aus einem halb gesunkenen Fischerboot gerettet. Die Flüchtlinge hatten rund 16 Kilometer vor der Küste ein Notsignal gesendet, wie der zyprische Verteidigungsminister Christoforos Fokaides am Mittwoch im Fernsehen berichtete. Nach eigenen Angaben waren die Flüchtlinge vom Libanon aus gestartet und hatten einem Schleuser pro Kopf 2000 US-Dollar (gut 1800 Euro) gezahlt. Dieser sollte sie nach Griechenland bringen. Vor der Insel Zypern habe er aber das Boot verlassen und sei mit einem Schnellboot verschwunden.

Die Zahl der Flüchtlinge auf Zypern hält sich in Grenzen. Rund 500 Migranten leben in zwei Aufnahmelagern der Insel. Gut 100 Migranten befinden sich in britischen Stützpunkten auf der Insel im östlichen Mittelmeer.

Update 10.55 Uhr: Bundespolizei: Tatvorwurf der »gewerbsmäßigen Einschleusung von Ausländern«
Auf einer Pressekonferenz legte die Bundespolizei Hintergründe zur groß angelegten Razzia gegen gewerbsmäßige Fluchthelfer am Mittwoch dar. Die Ermittlungen richten sich gegen 17 Beschuldigte und stützen sich auf den Tatvorwurf der gewerbsmäßigen Einschleusung von Ausländern, der Urkundenfälschung sowie des Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen.

Laut Bundespolizei soll der 24-jährige, bei der Razzia festgenommene Hauptbeschuldigte Teil eines international agierenden Schleusernetzwerks sein. Kontaktpersonen im Ausland sollen ihn bei der Beschaffung von gefälschten Dokumenten unterstützt haben. Als Preis für die in Deutschland illegale Fluchthilfe sollen die Beschuldigten Beträge von bis zu 10.000 Euro pro Person gefordert haben, den Großteil der Summe als Vorkasse. Die Einreise soll überwiegend über den Luftweg stattgefunden haben, wofür die organisierten Fluchthelfer gefläschte Reisedokumente beschafft haben sollen. Die Polizei berichtete, dass die Grenzpolizeibehörden diese Fälschungen in mehreren Fällen erkannte und geflüchtete Familien an Transitflughäfen festgenommen wurden.

In der Wohnung des Festgenommenen sollen mehrere Macheten, Schwerter, Messer, Munition für Handfeuerwaffen, eine Laserzieleinrichtung für ein Gewehr, diverse Ausweis- und Passdokumente gefunden worden sein.

Update 10.15 Uhr: Großrazzia gegen international organisierte Fluchthelfer
Die Bundespolizei geht mit einer groß angelegten Razzia in drei Bundesländern gegen international organisierte Fluchthelfer vor. Schwerpunkt der am Mittwochmorgen gestarteten Durchsuchungen sei Nordrhein-Westfalen, aber auch in Niedersachsen und Baden-Württemberg gebe es Aktionen, bestätigte eine Sprecherin der Bundespolizei in Sankt Augustin bei Bonn.

Bei der Aktion gegen ein »international weit verzweigtes Schleusernetzwerk« seien Beamte unter anderem in Essen, Gelsenkirchen und Hildesheim unterwegs. Den Angaben zufolge sind allein rund 500 Beamte der Bundespolizei seit den Morgenstunden im Einsatz, darunter auch Spezialeinsatzkräfte. Außerdem werde die Aktion von der Landespolizei unterstützt.

Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hildesheim zur Verfolgung organisierter Fluchthelfer. Behörden werfen den Schleusern vor, zahlreiche Flüchtlinge entgegen der Gestzeslage nach Deutschland gebracht zu haben.. »In Niedersachsen haben gegen 6.00 Uhr Durchsuchungen in Hildesheim und Osnabrück sowie in Lengede im Landkreis Peine begonnen«, sagte eine Sprecherin der Bundespolizei in Hannover. An insgesamt 24 Orten werde durchsucht. Die »Bild«-Zeitung berichtete auf Twitter, dass Häuser gestürmt worden seien. Erst vor kurzem hatte der Bundesnachrichtendienst angesichts der vielen Flüchtlinge aus Afghanistan vor einem »internationalen Schleppernetzwerk« gewarnt.

Organisierte, gewerbsmäßige Schleuser verdienen am Leid der Flüchtlinge. Solange es für diese aber keine legalen und sicheren Wege nach Europa gibt, bleibe es aber auch bei solchen Strukturen, beklagen Oppositionsparteien.

Update 9.50 Uhr: Vor Lesbos mehr als 60 Menschen ertrunken
In den vergangenen Tagen sind vor der griechischen Insel Lesbos nach offiziellen Angaben mehr als 60 Menschen umgekommen. In der Nacht zu Mittwoch ist erneut ein Flüchtlingsboot gekentert, dabei sind fünf Menschen ertrunken - darunter zwei Kinder. Wie die griechische Küstenwache am Mittwoch weiter mitteilte, ereignete sich das Unglück am Vorabend. Zunächst wurden vier Leichen in der Nähe des Unglücks gefunden. Am Mittwochmorgen sei ein fünftes Opfer im Meer entdeckt worden, hieß es seitens der Behörde. 40 Menschen konnten aus den Fluten gerettet werden.

Auf Lesbos herrschen zurzeit schlimme Zustände. Wegen eines seit Montag andauernden Streiks der Seeleute fielen am Mittwoch zum dritten Tag in Folge alle Fährüberfahrten aus. Aus diesem Grund können keine Flüchtlinge aus den Inseln zum Festland gebracht werden.

Schätzungen von örtlichen Medien nach warteten allein im Hafen von Mytilini auf Lesbos mehr als 6000 Menschen auf die Überfahrt. Die Gewerkschaft der Seeleute weigerte sich trotz Aufrufen der Behörden und humanitärer Organisationen, eine Ausnahme zu machen und Fähren nur für Flüchtlinge zum Festland fahren zu lassen, berichteten örtliche Medien.

Update 9.20 Uhr: Frontex-Chef: Flüchtlinge ohne Asylanspruch »notfalls inhaftieren«
Der Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, forderte die EU-Staaten auf, Zuwanderer ohne Anspruch auf Asyl notfalls festzusetzen, um ihre Abschiebung zu gewährleisten. »Wer irregulär eingereist ist und kein Recht auf Asyl hat, muss schnell in seine Heimat zurückgeführt werden«, sagte Leggeri in der »Bild«-Zeitung vom Mittwoch. Um dies sicherzustellen, seien Einrichtungen nötig, »in denen sie notfalls inhaftiert werden müssten«. Nach EU-Recht seien bis zu 18 Monate Haft möglich, um die Abschiebung zu organisieren. »Dieses Recht sollten die Länder auch konsequent anwenden«, sagte Leggeri.

Der Frontex-Chef rechnet mit einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen in der Europäischen Union. Der Höhepunkt sei »noch nicht überschritten«, sagte Leggeri. Frontex habe seit Jahresbeginn »mehr als 800.000 irreguläre Grenzübertritte« an den EU-Grenzen registriert, aber noch immer machten sich viele Menschen aus Krisenregionen auf den Weg. »Die EU-Staaten müssen sich darauf vorbereiten, dass wir in den nächsten Monaten noch eine sehr schwierige Lage vor uns haben«, sagte Leggeri.

Athen: Wir werden Flüchtlinge nicht einsperren

Berlin. Während am Mittwochmorgen mit der Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland auf andere EU-Staaten begonnen wurde, kommen Meldungen über neue Opfer der Festung Europa. Bei einem Bootsunglück in der Ägäis sind weitere vier Flüchtlinge ums Leben gekommen, darunter zwei Kinder. Wie die griechische Küstenwache mitteilte, war ihr Boot am Dienstag bei der Überfahrt von der türkischen Küste zur Insel Lesbos in Seenot geraten. Von den 42 Menschen an Bord seien zunächst acht vermisst worden.

In der vergangenen Woche waren nach dem Untergang von Flüchtlingsbooten mehr als 80 Menschen ums Leben gekommen, darunter zahlreiche Kinder. Seit Jahresanfang kamen bereits 560.000 Flüchtlinge, darunter viele Syrer, über das Meer nach Griechenland. Hunderte Menschen starben dabei. Trotz der kühlen Temperaturen und der rauen See machen sich weiter jeden Tag hunderte Menschen auf den Weg von der Türkei zu den nahen griechischen Inseln.

Ihr Ziel sind in der Regel aber andere Staaten in der EU. Das von der europäischen Krisenpolitik und der jahrzehntelangen Ausplünderung durch Oligarchen geschwächte Griechenland kann aber kaum die Registrierung und vorübergehende Unterbringung der Menschen garantierten. Auch deshalb sollen nun etwa 66.000 Flüchtlinge aus Griechenland in andere Staaten umverteilt werden.

Am frühen Morgen verließ eine erste Gruppe von 30 Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak das Land per Flugzeug in Richtung Luxemburg. Die sechs Familien wurden von Regierungschef Alexis Tsipras, EU-Integrationskommissar Dimitris Avramopoulos, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn verabschiedet. Insgesamt sollen innerhalb der EU knapp 160.000 Flüchtlinge umverteilt werden - darüber wird seit Wochen auf dem Rücken der Asylsuchenden gestritten. Vor allem osteuropäische Länder wehrten sich dagegen. Die Umverteilung kommt deshalb kaum voran: Den Anfang machten vor einem Monat 19 Eritreer, die von Rom nach Schweden geflogen wurden. Bisher wurden laut EU-Kommission 86 Flüchtlinge umverteilt.

Europäische Staaten wie die Bundesrepublik drängen darauf, dass die in den EU-Grenzstaaten wie Griechenland ankommenden Flüchtlinge dort auch registriert werden. Dazu sollen so genannte Hotspots eingerichtet werden. Die Bundesregierung hatte in dieser Woche verlangt, dass diese Lager bis zum Monatsende voll einsatzbereit sind. Die Hotspots in Griechenland werden die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa nicht aufhalten können, sagte nun der Vizemigrationsminister Ioannis Mouzalas gegenüber dem ZDF. Die SYRIZA-geführte Regierung in Athen sei auch nicht bereit, »Gefangenenlager« für Flüchtlinge zu errichten. »Flüchtlinge sind freie Menschen. Wir können sie nicht einsperren«, sagte Mouzalas. Ausschließliches Ziel der Hotspots sei die Identifizierung und Registrierung aller Flüchtlinge.

Das ZDF berichtet derweil, dass nur ein Bruchteil der Flüchtlinge in Griechenland registriert würden. Reporter des Magazins »Frontal« hätten dazu in der Registrierungsstelle für Flüchtlinge auf Lesbos recherchiert. In dem Hotspot fehlte es an Personal und dem nötigen Know-how, heißt es. »So bewegen sich Tausende Flüchtlinge weiter ohne Registrierung Richtung Deutschland. Auch Flüchtlinge, die in Griechenland einen Ausweisungsbefehl erhalten, können ungehindert die offenen Grenzen nutzen, um nach Deutschland oder Skandinavien zu fliehen«, meldet das ZDF.

Inzwischen hat das griechische Militäram Dienstag die Verpflegung von Migranten auf der Insel Samos übernommen. Dies teilte die Kommunalverwaltung des Hauptortes der Insel, Vathy, mit. Die Behörden bedankten sich bei Dutzenden freiwilligen Helfern aus dem In- und Ausland, die den Migranten und Flüchtlingen seit Wochen beistehen. »Ohne Geld und Mittel kämpfen wir täglich, um den Menschen zu helfen«, erklärte die Verwaltung von Samos am Dienstag. Dabei hülfen »viele Freunde von Samos aus dem Ausland«. Ein erster Container mit humanitärer Hilfe aus dem Ausland sei unterwegs nach Samos. 20 Kleine Containerwohnungen seien installiert, hieß es. Die Lage auf den Inseln der Ostägäis ist dramatisch. Allein im Oktober sind mehr als 218 000 Schutzsuchende angekommen. Das ist mehr als im ganzen Jahr 2014. Agenturen/nd

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