Drink doch ene met!

Jenseits humorfreier Büttenreden und sinnloser Saufgelage hat der Kölner Karneval auch Tiefgründiges zu bieten

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.
An diesem Mittwoch startet Köln mit dem traditionellen »Kölle Alaaf!« in die »fünfte Jahreszeit«. Wer nicht im Rheinland aufgewachsen ist, dem mutet all das befremdlich an. Dabei gibt es hier Schönes zu entdecken.

Welch eine Plage, dieses Lied. Selbst Menschen, die den Heumarkt für eine landwirtschaftliche Verkaufsmesse halten und für die »Tünnes und Schäl« nach einer abartigen kulinarischen Spezialität klingt, singen es, sobald sie in einer partyfreudigen Lokalität sind und eine gewisse Blutalkoholkonzentration aufweisen: »Da simmer dabei, dat is pri-hi-ma, Viva Colonia!«

Als der Song der Kölner Kapelle »Höhner« 2003 erschien, trat er einen Siegeszug quer durch die Republik an. Allzu sehr scheinen das Feiervolk solche Textzeilen zum Mitsingen zu animieren: »Wir lieben dat Leben, die Liebe und die Lust, / wir glauben an den lieben Gott und han auch immer Durst.« Es gibt sogar regionale Adaptionen, die es bis nach Hannover (»Viva Hannovera!«) und Erfurt (»Viva Erfordia!«) geschafft haben.

Karneval

Bis ins Mittelalter reichen die Ursprünge des Karnevals. Sie stehen in enger Verbindung mit dem Osterfest, an dem die Christen der Kreuzigung und Auferstehung Jesu gedenken. Vor Ostern, so wollte es die Kirche, sollten die Gläubigen fasten und dabei zum Beispiel kein Fleisch essen. Auf diesem Weg sollten Christen Buße tun und ihren Glauben unter Beweis stellen. Während die Fastenzeit anfangs nur wenige Tage dauerte, war sie bis zum 11. Jahrhundert auf fast sieben Wochen ausgedehnt worden, vom Aschermittwoch bis zum Ostersonntag.

Da nimmt es kaum Wunder, dass irgendwann die Idee aufkam, es noch einmal richtig krachen zu lassen, bevor das Fasten beginnt. Von Italien aus verbreitete sich dieser Brauch. Von dort stammt auch sein Name: »Carnevale«, das bedeutet so viel wie »Fleisch, leb wohl!« Allerdings geht es dabei nicht nur um Essen und Trinken. In vielen Regionen verschmolz die Karnevalstradition mit anderen Festen, die den Frühlingsanfang feierten.

Warum aber beginnt die rheinische Karnevalssession am 11.11.? Das geht auf vorchristliche Zeiten zurück. In der gallischen Kirche bereitete der Advent nicht auf Weihnachten, sondern auf das alte Hauptfest Epiphanie vor. Der Advent war eine Fastenzeit, die am Martinstag begann und 56 Tage dauerte. Zu diesem Termin waren zudem auch Pacht und Zins fällig. cba

Doch hinter dem durch Stimmungsschlager und Herrenwitze verunstalteten Sitzungskarneval steckt auch heute noch eine Tradition, die die autoritäre christliche Umdeutung nurmehr folklorisiert und Karneval zu einem Fest der Arbeiterklasse macht. Exemplarisch dafür steht vor allem ein Lied einer Kölner Band, die nicht allzu häufig überregional in Erscheinung tritt: In »Drink doch ene met!« singen »Bläck Föös« von einem alten Mann, der vor einer Kneipentür steht und nur zögerlich eintritt, weil er sich eigentlich das heiß ersehnte Bier finanziell nicht leisten kann.

Als die Stammgäste ihn sehen, laden sie ihn kurzerhand ein: »Drink doch ene met, stell dich nit esu ann, / du stehs he die janze Zick erüm. / Hast du och kei Jeld, dat is janz ejal, / drink doch met unn kümmer disch net drümm.« Eine Form der Herzlichkeit, wie sie typisch ist für das Rheinland. Heutzutage ist Karneval für viele Menschen vor allem Anlass, sich darauf zu besinnen. Auch in Liedern wie »En unserem Veedel«, »Ming eetste Fründin«, »Lange Samstag en d’r City« oder »Polterovend« besingen die »Bläck Föös« augenzwinkernd den Alltag der sogenannten kleinen Leute in der westdeutschen Millionenstadt und ihrer Umgebung.

Und, auch wenn es der Fernsehkarneval oder die kreuzbraven Wagen des Rosenmontagsumzugs nicht vermuten lassen, es geht im Kölner Karneval bisweilen bissig und witzig zu. Das Paradebeispiel dafür ist die »Stunksitzung«; eine Kabarettshow, bei der das Schunkelproletariat zu Versen wie »Achtung, Jenossen, opjepaß! Mer starte den langen Marsch / und treten der Burschuasie janz kräftich in den Arsch!« feiern und die schon für manchen Eklat gesorgt hat.

1992 bezeichnete der Kabarettist Jürgen Becker den Kölner Kardinal Joachim Meisner als »Arschloch«. Bei der TV-Ausstrahlung wurde das Wort später vom WDR elektronisch übertönt. 2011 wiederum wurde der Auftritt von Bruno Schmitz wegen Blasphemie vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht gesendet. Als Bischof Walter Mixa schwärmte er von »weichen Weinbränden, die zart wie Kinderpopo sind«. Papst Benedikt XVI. bezeichnete er als »Frettchen des Herrn, dumm wie eine Rolle Oblaten«.

Sie können also auch humorvoll Missstände offenlegen, die Karnevalisten; das ist angesichts der noch immer vorhandenen und Nord- wie Ostdeutsche oft irritierenden Macht der christlichen Kirchen im Rheinland umso wichtiger. So oder so ist Karneval in Köln ein Erlebnis, das sich lohnt. Man muss sich ja nicht gleich in die auf der Straße saufend feiernde Menge von Partytouristen stürzen.

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