Der Rassismus der Wohlmeinenden
Man kann zu Religion stehen, wie man will, doch auch der erbittertste Atheist wird zugeben, dass gläubige Menschen in aller Regel niemandem wehtun. Ob sie das Zuckerfest feiern, freitags keinen Fisch essen, sich Wasser auf die Stirn träufeln oder das Göttliche in der Kuh hochhalten, in aller Regel wissen auch die Transzendentalen zwischen »privat« und »öffentlich« zu unterscheiden. Heißt: Ob und wie ich Weihnachten feiere, ob und wie ich den Sabbat ehre, ob und wie ich den Ramadan begehe, geht den Staat nichts an. Draußen vor der Tür gelten andere Gesetze.
Menschen, die diesen Unterschied nicht verstehen, sind Ärgernisse auf zwei Beinen. Im harmlosesten Fall stehen sie mit obskuren Schriften in der Fußgängerzone herum, in schlimmeren Fällen wohnen sie auf der Schwäbischen Alb oder anderswo und laufen Sturm gegen eine Bildungspolitik, die den Kindern doch tatsächlich nicht verschweigen will, dass es so etwas wie Homosexualität gibt. Ausgesprochen lustig ist es daher, wenn sich die Hinterwäldler am Sonntag auf den nächstgelegenen Marktplatz begeben und vor der angeblichen Frauenfeindlichkeit des Islam warnen. Wo sie doch selbst schon lange katholisch sind.
Sehen Sie auch so? Klar, lieber Leser, Sie sind ja auch ein Linker. Toleranz, Weltoffenheit und all die anderen schönen Worte sind Ihnen zur zweiten Natur geworden.
Wie also bewerten Sie folgenden Fall? In der niederländischen ersten Liga, der Eeredivisie, kicken beim FC Utrecht zwei Muslime, die sich aus religiösen Gründen weigern, Frauen die Hand zu geben. Der Club hat die Journalistinnen und Journalisten darüber vor der Saison informiert und betont, dass er die Entscheidung der beiden respektiere.
Das muss man sich jetzt wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Der Club »respektiert«, dass zwei Profis 50 Prozent der Menschheit anders, nämlich abfällig, behandeln wollen. Doch anstatt den Herren in der Vereinsführung einmal ordentlich den Marsch zu blasen, schweigt die Politik.
Und einige Medien scheinen nicht einmal das Problem zu sehen. Oder haben sie Angst, mit den –gida-Honks in einen Topf geworfen zu werden? Das wäre schlimm, denn dann hätten die Bachmänner schon gewonnen.
So oder so: Die betroffene Journalistin von Fox, Hélène Hendriks, sah im Verhalten des Spielers Nacer Barazite kein Problem, wie sie über Twitter kundtat. Auch das: Kaum zu glauben. Nehmen wir einmal an, ein männlicher protestantischer Kollege von Frau Hendriks, würde an die Kaffeemaschine ein Schild anbringen, wonach der Konsum des Getränkes nur Männern erlaubt sei. Oder ihr Chef würde ihr eine Woche weniger Urlaub und ein Drittel weniger Gehalt zahlen wollen als dem männlichen Kollegen. Würde sie dann auch das sagen, was sie über Barazite sagte? Nämlich dass der »im Übrigen ein richtig netter Kerl« sei? Das täte sie natürlich nicht, weil sie eine Diskriminierung als solche empfinden würde.
Warum aber soll dieses legitime Empfinden nicht auch dann gelten, wenn grundlegende Höflichkeitsnormen aus angeblichen religiösen Gründen ausbleiben?
Über den Rassismus der politischen Rechten muss nicht mehr viel geschrieben werden, er ist so augenfällig, dass sich mittlerweile selbst Menschen von ihm distanzieren, die im stillen Kämmerlein die gleichen dämlichen Witze reißen wie noch vor 20 Jahren. Aber vielleicht wird es einmal Zeit, über den Rassismus der Wohlmeinenden zu sprechen.
Über die Herablassung, die darin besteht, die eigenen moralischen Maßstäbe dann nicht anzulegen, wenn sich Muslime so verhalten wie man es einem Katholiken oder einem Atheisten aus gutem Grunde nicht durchgehen lassen würde. Steckt da vielleicht auch der sehr westliche Kolonialherr drin, der »die« mit ihren merkwürdigen archaischen Vorstellungen eben irgendwie auch ganz niedlich findet, weil er sie eben nicht als Bürger und als politisches Subjekt ernstnimmt?
Ich nehme Herrn Barazite ernst und deshalb würde ich ihn als FC Utrecht vor eine Alternative stellen: Entweder er gibt künftig auch Frauen die Hand, oder er möge in einem Land Fußball spielen, das den Steinzeit-Islam zur Staatsräson erhoben hat. So viele gibt`s davon übrigens gar nicht...
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