Das Grinsen des Herrn Matussek
Wie rechte Demagogen die Opfer der Terroranschläge für ihre Zwecke missbrauchen. Ein Kommentar
Es hat an diesem schrecklichen Abend von Paris nicht lange gedauert, da zeigte sich einmal mehr, wie schnell Soziale Netzwerke zum Schaufenster der besonders hässlichen Fratzen werden können: Während noch die Zahl der Opfer des Terrors in der französischen Hauptstadt stieg, während noch Menschen in Todesangst bangten und Angehörige noch auf Nachrichten von ihren Nächsten warteten - während all dies noch geschah, beuteten rechte Demagogen schon die Opfer für ihre Zwecke aus.
Da wurde von einem angeblich mit der FDP nicht in Zusammenhang stehenden Twitteraccount aus der Terroranschlag zu einer rhetorischen Breitseite auf die nach Europa Flüchtenden missbraucht. (Der Bundeschef der Freidemokraten hat sich von der Äußerung distanziert.) Da wurde von einem der Rechtspartei AfD zuzurechnenden Internethetzer die Dimension des Terrors von Paris per Fragezeichen in Abrede gestellt und für den »Krieg« die nach Europa Flüchtenden sowie »die Altparteien« verantwortlich gemacht. Da forderte eine Hamburger Onlineplattform in der Nacht von Kanzlerin Merkel, »Schützen SIE endlich Deutschland und stoppen SIE die unkontrollierte Einreise und prüfen SIE Migranten sehr genau«.
Und man musste befürchten (es ist inzwischen genau so gekommen): Die politischen Freunde von Asylbeschränkung, Vorratsdatenspeicherung und innerer Aufrüstung werden sich auch noch melden. Auch sie bedienen sich einer Mischung aus Ressentiment und Empathielosigkeit, auch sie sind die Drecksschleudern einer Denkweise, von der zuletzt schon immer deutlicher wurde, dass es sich in Zeiten der Anti-Asyl-Rhetorik, der einfachen »Wahrheiten«, des Schwarz-Weiß-Denkens und einer bis weit in die Mitte reichenden antiaufklärerischen Volte nicht um eine vereinzelte Meinung handelt.
An die Spitze der Bewegung dieses Hasses hat sich in der Nacht zum Samstag einer der rechtsbürgerlichen Schreiber vom Dienst gemacht: Matthias Matussek. Mit grinsendem Smiley erbrach der Autor der »Welt« auf seiner Facebook-Seite einen exemplarischen Aufguss aus Häme, politischer Indienstnahme von Terror-Toten und unreflektierter Verallgemeinerung: Er »schätze mal«, hob Matussek offenbar fröhlich aufgelegt an, »der Terror von Paris wird auch unsere Debatten über offene Grenzen und eine Viertelmillion unregistrierter junger islamischer Männer im Lande in eine ganz neue frische Richtung bewegen.« Zudem sei er nun gespannt, »wann die Regierenden erneut eine Lichterkette aufbauen und davor warnen, den Islam zu verteufeln und den rechten Populisten hinterherzulaufen«.
Was Matussek offenbar für eine »frische Richtung« hält, ist nicht nur das »Hinterherlaufen« bei den Rechten. Es ist der noch schnellere Marsch in einen geistigen Ausnahmezustand, in dem alle Terroristen Muslime sind und alle Flüchtlinge potenzielle Angreifer; in der eine Welt der offenen Grenzen angeblich wie automatisch zur Hölle werden muss für jene, die Matussek und andere für die besseren, die eigentlichen, die »christlichen« Menschen halten.
Niemand stellt in Abrede, dass es für islamistisch verbrämten Terror in Europa Gründe gibt, für die die Verantwortung innerhalb des Kontinents liegen. Niemand stellt in Abrede, dass in Europa Islamisten über die Toten von Paris jubeln, dass da antiwestliche und antisemitische Denkungsarten wachsen.
Zu einem Zeitpunkt aber, an dem nicht einmal sicher bekannt war, wer die furchtbaren Morde von Paris begangen hat, dafür gewissermaßen die Willkommenskultur gegenüber Flüchtenden verantwortlich zu machen, ist nicht nur dumm und verhöhnt die politischen Realitäten. Es ist höchst gefährlich.
So wenig es absolute Sicherheit vor Anschlägen je geben kann, so sehr sind es doch gerade die derzeit Asylsuchenden, die vor denselben Feinden der Gesellschaft fliehen: vor dem IS und seinen Mörderbanden. Auf gewisse Weise sind die Hass-Twitterer und die Matusseks dieser Welt die besten Helfershelfer der Terroristen. Beide betreiben ein Geschäft mit der Angst, in dem der Tod von Menschen eingepreist ist, und das dazu dienen soll, einen erreichten Stand gesellschaftlicher Zivilität zu unterminieren, den man zwar für unzureichend halten kann. Der aber verteidigt gehört gegen den Rückfall in barbarische Zustände. Vive la liberté.
Die »Welt«, das muss an dieser Stelle gesagt werden, hat sich vom Hassmüll ihres Matussek distanziert. Auch andere Zeitungen haben jenen, die da schon an den Kommentarkellern der Onlineausgaben lauerten, deutlich die Grenzen aufgezeigt erklärt. Eine Verunglimpfung von Flüchtlingen oder allen Muslimen im Zusammenhang mit dem Terror von Paris ist nicht zu akzeptieren. Hoffnung macht, dass das in diesen Stunden mehr Menschen so sehen als die rechten Charaktermasken im Schaufenster der besonders hässlichen Fratzen.
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