Skeptische Klimabewegung
Vielfältige Proteste beim UN-Gipfel angekündigt - nach den Anschlägen könnten sie kleiner ausfallen
Der UN-Klimagipfel in Paris soll trotz der jüngsten Terroranschläge stattfinden. Er wird weder abgesagt noch vertagt, soll jedoch aus Sicherheitsgründen in seinen Ausmaßen reduziert werden, wie der französische Premierminister Manuel Valls am Montag im Rundfunk erklärte. Ende November werden 40 000 Teilnehmer aus 195 Ländern erwartet. Am Eröffnungstag wollen auch 120 Staats- und Regierungschefs kommen - deren Sicherheit ist schon dadurch gewährleistet, dass sie auf dem Flughafen Le Bourget landen, sich die Gipfelhallen am Rande des Flugfeldes befinden und beide zur »Blauen Zone« gehören, die von französischem Militär und von 100 UN-Kräften abgesichert wird. Laut Valls werde aber das Rahmenprogramm ausgedünnt. Konzerte und »eher festliche« Veranstaltungen sollten nicht stattfinden.
Unklar ist, was das eingeschränkte Versammlungsrecht für die zahlreich geplanten Proteste bedeutet - insbesondere für die Großkundgebungen unmittelbar vor und nach dem Gipfel. »Ich will nicht vorgreifen, aber die Frage der Durchführung stellt sich«, sagte der Regierungschef. Die endgültige Entscheidung liegt allerdings bei Präsident François Hollande, und der ließ bisher nicht durchblicken, zu welcher Lösung er tendiert.
Zum »Global Climate March« am 29. November zwischen dem Bastille-Platz und dem Platz der Republik erwarteten die Veranstalter bisher mehrere Hunderttausend Teilnehmer. Ein Aktionstag mit Klimamärschen auf der ganzen Welt soll die bislang größte Klimademonstration toppen, zu der im September 2014 in New York an die 400 000 Menschen kamen. Am Ende der Konferenz soll es dann noch mal eine Demo geben, damit die Bewegung »das letzte Wort hat«, wie es heißt. Ihr Teilnehmerspektrum reicht von gestandenen Antikapitalisten und Globalisierungskritikern bis hin zu Gewerkschaftern, christlichen Pilgern und klassischen Umweltschützern. Sie alle haben sich zur »Coalition Climat 21« zusammengeschlossen. Aus dem Umkreis der Organisatoren hieß es schon vor den Terrorschlägen, Frankreich verweigere vielen Aktivisten die Visa und plane strenge Grenzkontrol len. Auch stelle Paris zu wenige Schlafunterkünfte zur Verfügung.
Die Koalition, der 130 Organisationen angehören, äußerte sich am Montag »geschockt« über die Terroranschläge. »Die Klimabewegung steht gegen diesen Hass«, hieß es in einer Erklärung. Gleichzeitig begannen Diskussionen, ob man die Großdemonstration wegen Sicherheitsrisiken absagen und den Protest stattdessen in die sozialen Medien tragen soll. Noch für Dienstagabend wurde mit einer Entscheidung gerechnet.
Die bunte Schar der Klimaaktivisten eint die Forderung nach einem weltweiten Ausstieg aus fossilen Energien und einem »ambitionierten, verbindlichen und gerechten« Klimaschutzabkommen. Protest sei schon deshalb wichtig, da »der UN-Gipfel in Paris die Welt nicht retten wird«. Diesen Satz hört man von vielen Aktivisten im Vorfeld. »Diejenigen, die an einen Erfolg glauben, machen sich im besten Fall etwas vor«, meint Alex Scrivener von Global Justice Now aus London. »Im schlechtesten Fall ist das gefährlich«, weil Zeit und Kraft vergeudet würden. »Mit all den Jahren, die ins Land gegangen sind, hat sich immer deutlicher gezeigt, dass die UN-Verhandlungen nicht ›geliefert‹ haben«, meint Scrivener. Die Protestaktionen rund um den Gipfel sollen helfen, »den öffentlichen Diskurs zu verändern« und einen Austausch zwischen Vertretern aus dem Süden und den Industrieländern zu ermöglichen. Die Klimakonferenzen würden der im globalen Süden verhassten Weltbank immer ähnlicher - dank einflussreicher Staaten, die »hinterhältige Verhandlungstaktiken« einsetzten, um ihre Agenda durchzudrücken.
Gerade um Vertretern aus den ärmeren Ländern den Rücken zu stärken, sei der Gipfel bestens geeignet, findet auch Klimaaktivist Tadzio Müller, der in Paris eine Delegation aus Nigeria und Nicaragua begleiten wird. »Wenn man in die Welt der Klimadiplomatie eintaucht, kommt man sich vor wie bei einer Sekte«, meint Müller, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitet. »All die strukturellen Gründe, warum diese Gipfel nichts bringen, bleiben bestehen«, wettert er. Allerdings habe die Klimabewegung seit Kopenhagen 2009 viel gelernt: »Sie weiß nun, dass Gipfel scheitern können«, meint er. »Deshalb haben wir dieses Mal einen Plan.« Schon während des Gipfels wird beraten, wie es nach Paris weiter gehen soll - mit lokalen Kämpfen gegen Braunkohletagebaue oder gegen Ölmultis.
In Paris sollen die Strategiediskussionen beim Alternativgipfel stattfinden, der ebenfalls von der »Coalition Climat 21« vorbereitet wird. Auch der Protest gegen die wirtschaftsnahe Konferenz »Solutions COP21«, die parallel zur Klimakonferenz stattfinden soll, gehört zu den zahlreichen Aktionen. Die Tagung wird von vielen Sponsoren des COP21 organisiert, unter denen viele »schmutzige« Unternehmen wie große Energieversorger, Autokonzerne oder Getränkeriesen.
Unterstützung bekommt die Bewegung auch von renommierten Wissenschaftlern. Es brauche den nötigen Zorn der Menschen, die von ihren Regierungen bei den Verhandlungen in Paris vertreten werden, erklärte kürzlich der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber. Er hat sich mit seinem neuen Buch »Selbstverbrennung« auf die Seite der Klimaaktivisten geschlagen und verteidigt offen den Druck von der Straße: »Nur wenn sich eine Bewegung moralisch genug auflädt, dann setzt sich diese Moral auch irgendwann betriebswirtschaftlich und politisch durch«, so Schellnhuber. Die radikale Analyse einiger Gipfelskeptiker teilt der Klimaforscher allerdings nicht. Er glaubt, dass Aktivisten und Diplomaten im Konferenzraum es gemeinsam schaffen müssen.
Bisher in unserer Serie erschienen: Klimafinanzen (7. 11.), sozial-ökologische Transformation (11. 11.), Klimawandel und Ozeane (14. 11.)
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