Obergrenze heißt nun Kontingent: Asylrecht weiter unter Druck

Von der CDU über die SPD bis zu den Grünen: Immer mehr Stimmen für nationale Obergrenzen oder europäische Kontingente bei Aufnahme von Flüchtlingen

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Berlin. Ralf Stegner platze am Samstagmittag ein bisschen der Kragen. Jedenfalls im Internet. »Was ist daran so schwer zu kapieren, dass einseitige nationale Obergrenze für Flüchtlinge eine Beseitigung des individuellen Asylrechts wäre?«, grollte der SPD-Vize auf dem Kurznachrichtendienst Twitter angesichts der immer lauter werdenden Rufe nach einer solchen Regelung in der Union. Inzwischen denkt auch die SPD laut über eine solche Begrenzung nach, dabei soll es dann um international vereinbarte Kontingente für Bürgerkriegsflüchtlinge gehen. Eine solche Lösung, so Stegner, würde der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen, aber es fehle dazu eine entsprechende Vereinbarung.

Unter dem Strich kommt für die Asylsuchenden dasselbe heraus: Mit einer Begrenzung der Aufnahme von Flüchtenden wird das individuelle Asylrecht faktisch gefällt. Ist das Kontingent erfüllt - ganz egal, ob es nun auf nationaler Ebene durchgesetzt oder als europäische Variante vereinbart wird - ist dem Zufluchtsuchenden der Weg zur Anerkennung als Asylberechtigter versperrt. Dies dürfte so oder so gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen. Der darin verankerte Grundsatz der Nichtzurückweisung ist auch Teil europäischen Rechts. Er wird dann verletzt, wenn Personen ohne Einzelfallprüfung ausgewiesen, abgeschoben oder an der Grenze zurückgewiesen werden.

Artikel 33 Genfer Flüchtlingskonvention
Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.

Nachdem zunächst die CSU auf die Kontingentierung von Flüchtlingen und damit die nächste Einschränkung des Asylrechts gedrängt hatte, stets begleitet von der Rechtspartei AfD, mit der sich die Bayern seit Wochen einen Wettlauf um die asylfeindlichsten Vorschläge liefern, drängen nun auch führende CDU-Politiker auf eine solche Lösung.

Das sorgt nicht zuletzt deshalb für Aufmerksamkeit, weil sich Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel bisher gegen eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen hat. Am Freitagabend war es deshalb auf dem CSU-Parteitag zu einem Eklat gekommen - Horst Seehofer ging Merkel unter dem Applaus von CSU-Claqueren direkt an, die Delegierten verweigerten der Kanzlerin dann sogar den Applaus.

Nun setzt auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf eine Kontingentlösung. »Ein Kontingent bedeutet automatisch eine Begrenzung der Anzahl von Flüchtlingen. Ich freue mich darüber, dass dieser Vorschlag zwischenzeitlich immer mehr Zustimmung findet«, sagte der CDU-Politiker der»Bild am Sonntag«. Er habe sich schon im September dafür ausgesprochen, dass Europa »ein großzügiges Kontingent von Flüchtlingen« aufnimmt, die gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingswerk ausgewählt werden.

In der SPD wird darauf verwiesen, dass feste Obergrenzen, die gegen das Grundrecht auf Asyl verstoßen würden, von einer Kontingente-Lösung unterschieden werden müssten. Die Frage ist: Worin besteht der Unterschied wirklich. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat jetzt die Einführung flexibler Flüchtlingskontingente vorgeschlagen, die jährlich vom Parlament festgelegt werden sollen. »Der Deutsche Bundestag sollte in Abstimmung mit der Europäischen Union und dem UNHCR jedes Jahr aufs Neue über die Größe der Kontingente von Flüchtlingen entscheiden, die wir aufnehmen können«, sagte Oppermann dem »Tagesspiegel am Sonntag«. Dabei müssten die Parlamentarier »immer im Auge behalten, wie viele Menschen wir integrieren können und wie gut unsere Integrationsmaßnahmen sind«.

Im Klartext: Wenn eine Größe der Kontingente definiert wird, dann auch eine Obergrenze. SPD-Chef Sigmar Gabriel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatten sich erst am Freitag für feste Zahlen bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge ausgesprochen, falls die EU mit der Türkei ein gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlingspolitik vereinbaren sollte.

Einer Obergrenze wird inzwischen auch innerhalb der Grünen das Wort geredet. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann wies zwar eine nationale Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen zurück - erklärte aber sogleich, man brauche solche Obergrenzen. Im Deutschlandfunk sagte er, diese könnten aber nur auf europäischer Ebene festgelegt werden. Vor einer solchen Entscheidung müsste zudem die Situation in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern Syriens verbessert werden. Dann könne man in den EU-Ländern über Flüchtlingskontingente nachdenken, so Kretschmann. Agenturen/nd

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