Fußball nach Amazon-Logik

Ein wirklich beschissenes Ritual: Nach jedem verlorenen Spiel müssen die Spieler sich dem Urteil der Fankurve stellen

Immer dann, wenn eine Mannschaft schlecht gespielt hat – und fürwahr, für das, was der VfB am Samstag gespielt hat, wurde das Wort »schlecht« wohl erst erfunden – müssen die Spieler vor der Fankurve Abbitte leisten.

Die neuzeitliche Form des Ablasshandels geht so: Spieler von Mannschaft XY gehen gemessenen Schrittes und mit gesenktem Kopf in Richtung Kurve, bleiben irgendwann stehen und applaudieren den Fans. »Danke für eure Unterstützung« soll das heißen, doch darum geht es nicht, zumindest geht es den Fans nicht darum, dass man ihnen dankt. Deswegen antworten sie auch nicht: »Bitte. Gern geschehen.« Stattdessen kotzen sie sich aus. Manche aus dem Affekt heraus, manche als Inszenierung eines Rituals.
Bei diesem geht es darum, dass die Spieler nicht direkt in die Kabine gehen, dass sie sich die Zeit nehmen, zu den Fans zu kommen, um sich dort nach allen Regeln der Kunst beschimpfen zu lassen.

Das ist Fußball nach Amazon-Logik: man bestellt eine Ware. Und wenn sie nicht so schön ist wie sie im Katalog aussah, fällt das Ranking dementsprechend aus. Mancher Fan sieht sich eben gerne als Arbeitgeber, der am Schichtende strammstehen lässt. Sie sind gefeuert...

Als Spieler schaut man dann in hassgeweitete Augen, auf hunderte Fuckfinger und Münder, die Verwünschungen hervorstoßen. Wenn »Brot und Spiele« im Alten Rom zum Amüsement taugten wie heute die Fußball-Bundesliga im Kapitalismus, hat sich dennoch etwas geändert: Die »Todgeweihten« grüßen heute nicht mehr Cäsar, sondern gleich das ganze Publikum.

Am Samstag haben die Spieler des VfB Stuttgart dieses Ritual erstmal verweigert, sie wollten nach dem 0:4 gleich in die Kabine gehen. Offenbar auch, weil das Publikum seinen Teil des unausgesprochenen Deals nicht beherzigt hatte. Statt die Mannschaft zu unterstützen hatten sie sich dem »Chabernack« hingegeben, wie Monty Pythons Präfekt Pontius Pilatus im »Leben des Brian« beim Blick auf die johlenden Massen unter seiner Empore feststellte. Nur, dass sich Stuttgarts Fans nicht über einen Sprachfehler beömmelten, sondern über das, was die 11 Dilettanten da unten ihnen als Fußball verkaufen wollten. Deswegen sangen sie ironisch »O, wie ist das schön..« und starteten die »La olà« ̶ auch das ein Ritual, das ansonsten bei rauschenden Fußballfesten begangen wird.
Bliebe die Frage, was jetzt peinlicher ist. Die Fans, die ihr Kreuzigungsritual einfordern, oder hochbezahlte Fußballspieler, die sich wie beleidigte Kleinkinder benehmen, wenn sie verspottet werden. Es ist eine Frage, die sich im Übrigen gut beantworten lässt.

Die Wendung, wonach ein Horror so unfassbar ist, das er jeder Beschreibung »spottet«, ist eine der interessantesten Formulierungen im Deutschen. Für das, was der VfB Stuttgart am Samstag bot, scheint sie wie geschaffen.

Update: Der VfB Stuttgart hat sich drei Tage nach dem kläglichen 0:4 gegen den FC Augsburg von seinem Trainer Alexander Zorniger getrennt. Erfahren Sie mehr dazu.

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