Nach rechts: Kleinbürgertum in Abstiegsangst
Tom Strohschneider über die AfD im Spiegel von Umfragen, am Problemkern vorbeizielende Kritik an der Demoskopie und die Anhängerschaft der Rechtspartei
Vor ein paar Tagen sorgte eine Schlagzeile für Aufsehen: Die Rechtspartei AfD wurde in einer Umfrage als drittstärkste Kraft ausgewiesen. Die Kritik daran folgte umgehend: Das Institut, das die Daten erhoben hatte, wurde als AfD-nah charakterisiert, es wurden methodische Zweifel an den Zahlen laut. Ist also alles doch nicht so schlimm mit der Partei?
Es gibt Gründe für Skepsis über den Aussagegehalt und die Funktion von Wahlumfragen, mehr noch gibt es Gründe für Kritik an der oft auf Effekt gebürsteten Praxis der medialen Verbreitung der Ergebnisse. Auch »nd« hatte über die genannte Umfrage berichtet, unter anderem mit dem Hinweis, dass der Chef des Instituts INSA, von dem die Zahlen kamen, selbst die AfD berät.
Mehr noch: Die AfD im Freistaat trug Hermann Binkert sogar den Landesvorsitz an. Der ehemalige Thüringer CDU-Staatssekretär winkte ab – er hatte die Partei allerdings einmal als »neuen demokratischen Aufbruch« bezeichnet, das war zu Zeiten, als Bernd Lucke noch Vorsitzender war. Binkert meinte damals, die Wähler würden »ein eindeutig liberal-konservatives, bürgerliches Profil« bevorzugen, dies müsse »auch durch den Willen der Mitglieder gespiegelt« werden.
Inzwischen steht der neoliberale Gründer-Ökonom Bernd Lucke mit seiner Abspaltung im Schatten des Originals, bei dem Rechtsaußen Frauke Petry den Bundesvorsitz übernommen hat – und die bereits von noch weiter rechts unter Druck gerät: Der Thüringer Fraktionschef Björn Höcke will die Partei noch weiter nach rechts schieben, er treibe die AfD mit seinen Auftritten, mit Tiraden und den Erfurter Aufmärschen Tausender Teilnehmer vor sich her.
Dass die AfD seit dem Sommer in den Umfragen deutlich zulegen kann, ist deshalb auch keine Frage, die sich mit Kritik an Umfragen aus der Welt schaffen ließe. Angefeuert durch eine breite Anti-Asyl-Rhetorik auch der Regierungsparteien vor allem aber der CSU, die zum eigentlichen Treiber für die AfD geworden ist. Der Chef des Instituts Forsa, Manfred Güllner, nannte es eine Bestätigung der alten »Erfahrung, dass man mit rechten Themen immer das radikalere Original - in diesem Fall die AfD« stärkt.
Güllners Demoskopen haben die Rechtspartei zuletzt bei 7 Prozent taxiert. Im September 2014 hatte Forsa die AfD mit 10 Prozent bewertet, damals war die Rechtspartei also schon einmal auf einem dritten Umfrageplatz gelandet. Bei Binkerts »Institut für neue soziale Antworten«, der auf dessen Unabhängigkeit pocht, stand die AfD im Herbst vorigen Jahres bei Werten zwischen 6 und 8,5 Prozent. Danach ging es für die Partei demoskopisch bergab – vor allem wegen internen Zoffs. Mit der lauter werdenden Debatte über eine »Flüchtlingskrise«, die in Wahrheit eine Krise des politischen Umgangs mit Menschen in Not, mit dem Asylrecht und mit öffentlichen Ressourcen ist, legten die Rechten wieder zu.
Die Forschungsgruppe Wahlen vermeldete einen Sprung von 3 auf 8 Prozent seit dem Spätsommer, bei Forsa ist die AfD von 3 auf 7 Prozent gestiegen, bei Emnid von 4 auf 7 Prozent und bei Infratest von 4 auf 9 Prozent. Bei Binkerts INSA erreichte die Rechtspartei den stärksten Zuwachs – aber hier ist auch die methodische Kritik am stärksten. Das Institut berechnet seine Werte auf Basis einer Online-Befragung des Anbieters YouGov, es gibt Zweifel an der Repräsentativität der Daten oder wegen Missbrauchsmöglichkeiten. Allein schon, dass INSA bei seinen Ergebnissen auch Werte hinter dem Komma ausgibt, sorgt für Stirnrunzeln: Die statistische Fehlertoleranz bei Umfragen ist mit zwei, drei Prozent in der Regel so groß, dass mit solcherart Zahlen allenfalls der fälschliche Eindruck besonderer Genauigkeit erweckt werden soll.
Dennoch kann man aus Umfragen jede Menge lernen. Zum Beispiel über die Anhängerschaft der AfD. Wer votiert in Umfragen für die Rechtspartei und was sind das für Menschen? Auch hier kommt es nicht zuletzt darauf an, worauf der Schwerpunkt bei der medialen Verbreitung der Daten gelegt wird. Unlängst zum Beispiel machte eine Umfrage von Forsa für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« die Runde – Tenor: Die AfD-Anhänger werden männlicher und ostdeutscher.
Gemeint ist: Im Vergleich zu einer ähnlichen Umfrage vor einem Jahr hat sich der Anteil der Anhänger die aus dem Osten kommen von 18 auf 28 Prozent erhöht. Auch sind nun noch etwas mehr Männer darunter – der Anteil von Frauen lag auch vor einem Jahr schon unter einem Drittel. Spannender freilich, aber in der Berichterstattung nicht so sehr im Vordergrund, sind andere Daten aus dieser Studie.
Die Anhängerschaft der AfD radikalisiert sich nach rechts – der Anteil derer, die sich selbst als politisch rechts einordnen (von 28 auf 38 Prozent) ist zu Lasten des Anteils derer gewachsen, die sich in der Mitte verorten (von 55 auf 45 Prozent). Die Entfernung zu den etablierten Parteien wächst. Der Frust auf die Regierung erreicht immer höhere Werte – waren im November 2014 noch 73 Prozent der AfD-Anhänger mit der Bundesregierung wenig oder gar nicht zufrieden, waren es nach dem jüngsten Deutschlandtrend von Infratest dimap 100 Prozent.
Wenig verändert hat sich die Sozialstruktur der Rechtspartei: Es ist eine Organisation, die vor allem von Menschen mit durchschnittlichen und guten Einkommen gewählt wird (rund 45 Prozent gaben in beiden Umfragen mehr als 3.000 Euro Haushaltseinkommen an), der Anteil der Menschen mit guter Bildung lag in beiden Umfragen bei um die 50 Prozent, es sind vor allem erwerbstätige Angestellte und Selbstständige, die AfD wählen würden. Stark verschlechtert haben sich unter den Petry-Jüngern und Höcke-Mitläufern die selbst empfundenen Aussichten was die eigene wirtschaftliche Lage angeht.
Bei einem Thema heben sich die AfD-Anhänger in Umfragen stets besonders ab: Wenn insgesamt 17 Prozent in einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen meinen, es werde hierzulande »zu viel für Flüchtlinge« getan – wird dieser Durchschnitt auch von einem hohen Wert bei den AfD-Anhängern nach oben gedrückt. Unter diesen meinen 80 Prozent, den Asylsuchenden hierzulande gehe es zu gut. Sagen 44 Prozent aller Befragten, es gebe eher Nachteile durch Zuwanderung, sind es bei den AfD-Anhängern 85 Prozent. Keine Überraschung ist, dass auch das Verständnis für die rechten Pegida-Aufmärsche unter Wählern der Rechtspartei mit 83 Prozent mit Abstand am größten ist, auf den Plätzen folgen die Anhänger der Linkspartei (17 Prozent) und der Union (15 Prozent).
Und doch liegt der gemeine AfD-Wähler zum Beispiel in klassen- oder innenpolitischen Fragen in jenem »Mainstream«, der sonst so gern von der Rechtspartei attackiert wird. Das Verständnis für den Lokführer-Streik zum Beispiel war unter ihnen genau so gering wie unter den Wählern der Regierungsparteien. Danach gefragt, ob eher die SYRIZA-Regierung oder die europäischen Institutionen der Schuldige für die Konflikte bei den Verhandlungen über Milliardenkredite für Griechenland waren, zeigte der AfD-Anhänger weit mehrheitlich auf die linksgeführte Regierung. Und als im Mai dieses Jahres danach gefragt wurde, ob die Geheimdienste hierzulande endlich stärker kontrolliert werden sollen, stimmten dem die AfD-Anhänger zahlenmäßig am wenigsten zu.
Wenn man es etwas grob formulieren will: Zur AfD strebt eine von sozialem Verlust sich bedroht fühlende Mittelschicht, die aggressiv gegen Migranten und Flüchtlinge Front macht. Ein absteigendes Kleinbürgertum, das von der Regierung gar nichts hält – aber genauso wenig von Arbeitskämpfen, da ist man sich mit dem Klientel der Großen Koalition einig. Es gibt gute Gründe, dieses Potenzial nicht durch Überbetonung von Umfragen »hochzuschreiben«, an denen Zweifel berechtigt sind. Aber das Problem sind nicht die Umfragen.
Karl Marx hat einmal geschrieben, in Deutschland bilde das »Kleinbürgertum die eigentliche Grundlage der bestehenden Zustände«. Man muss das als sehr aktuelle Warnung verstehen. Anders formuliert: Es ist nicht so wichtig, wie die AfD gerade in Umfragen dasteht, wenn sie – weil von CSU bis SPD dafür viel getan wird – die Agenda diktieren kann.
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