Ein gescheitertes Betrugsmanöver
Konzeptionslos, risikoreich, ohne Mehrheit. Hamburg sagt »Nein« zur Olympia-Bewerbung: Ein Gastbeitrag von Rainer Benecke und Joachim Bischoff
Die Frage Olympia »Ja« oder »Nein« hat die Hamburger Bevölkerung stärker mobilisiert als andere Themen. 650.000 der 1,3 Millionen Wahlberechtigten gaben in dem vierwöchigen Verfahren ihre Stimme ab. Die Teilnahme am Referendum überstieg vergleichbare Volksbefragungen in der Hansestadt deutlich. Das knappe, aber deutliche »Nein« zu einer Bewerbung ist für die politische Klasse der Stadt, für die rot-grüne Koalition und auch für den SPD-Spitzenpolitiker Olaf Scholz ein unerwarteter Tiefschlag.
Hamburgs Erster Bürgermeister Scholz hatte Olympia als wichtigstes Projekt des rot-grünen Senats für die gesamte Wahlperiode ausgegeben. Die Stadtentwicklung sollte bis 2024 auf einen Stand gebracht werden, der normalerweise 20 bis 30 Jahre in Anspruch genommen hätte. Nun ist der Traum ausgeträumt. »Das ist eine Entscheidung, die wir uns nicht gewünscht haben. Sie ist aber klar«, so »König« Olaf.
Der Bürgermeister hatte in den letzten Monaten eine große Koalition für die Bewerbungskampagne formiert. Von Anfang an dabei: Hamburgs Wirtschaft, die Geld und Spitzenpersonal für die Werbekampagne bereitstellte. Auch die anfänglich skeptischen Grünen wollten ihre Regierungspartnerschaft nicht gefährden und waren die perfekten Mitläufer.
Die Hamburger und bundesweite Sportcommunity war selbstverständlich mit »Feuer und Flamme« dabei. Gemanagt wurde die Werbe-Walze von Olympia-Staatsrat Christoph Holstein (SPD) und dem Geschäftsführer der Olympia-Bewerbungsgesellschaft Nikolas Hill, ein politisches Fossil aus der zerstörten liberalen CDU des Ole ehemaligen Bürgermeisters Ole von Beust. Letzterer hatte in einem Interview vorsichtig moniert, dass die Pro-Kampagne materiell und ideologisch überzogen war.
Die Kampagne hatte in der Tat zum Schluss eine zerstörerische Komponente – die Macher konstatierten ein »Überdrehen der Schraube«, denn die KritikerInnen waren argumentativ zwar glänzend, aber materiell mehr als schwach ausgestattet. In jeder Schuldiskussion oder in offiziellen Veranstaltungen erhielten auch sie das Wort – selbst wenn sie es manchmal nicht in Anspruch nahmen.
Die Linkspartei verstärkte den Widerstand in der Stadt, der von Beginn an sichtbar war: Außer den Mitgliedern des FC St. Pauli hatte sich auch der BUND die Planungsunterlagen der Stadt intensiv angesehen und empfahl ein klares »Nein«. Aus Sicht des BUND sprach kaum etwas für Olympia, vieles jedoch dagegen. So standen den vagen Versprechungen der Stadt, was die Umweltverträglichkeit der Spiele betrifft, ganz offensichtlich große Risiken gegenüber, auf welche die politisch Verantwortlichen keine Antwort hatten.
Hinzu kamen der in der Zeit der Spiele abzusehende Verkehrskollaps, der zunehmende Flugverkehr, die zu erwartenden Mietsteigerungen und nicht zuletzt die jahrelange Bautätigkeit für die Spiele und den Rückbau einiger Anlagen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Letztlich entschieden die BürgerInnen auch darüber, ob sie diesen Mega-Event in der Stadt haben wollen, oder ob sie die enormen Ressourcen für die Planung und Umsetzung der Spiele lieber in anderen Gesellschaftsbereichen sehen wollen.
Selbst der Hamburger Rechnungshof – in der Regel der neoliberale Vorreiter bei gesellschaftlichen Projekten – hatte die Olympiabewerbung kritisiert. Zeitliche Enge der Planung und Entscheidungen, finanzielle Dimension des Projekts und der Vorrang der Regeln des Internationalen Olympischen Komitees stünden im Widerspruch zu in Hamburg geltendem und bewährtem Recht. In der Tat wurden schon wichtige Planungsentscheidungen in einer Olympia-Bewerbungsgesellschaft getroffen, in der Hamburg nur noch Juniorpartner gegenüber dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) war.
Das »Nein« der Wahlbevölkerung, verstärkt durch Initiativen und die Linkspartei, hat eine millionenschwere Kampagne ausgebremst. Und das liegt nicht an Flüchtlingen, dem DFB-Skandal oder dem Terror in Paris. Der Stimmungsumschwung lässt sich auf den 8. Oktober datieren. Damals legte Olaf Scholz seinen Finanzreport vor. Und der kam auf Kosten von 7,4 Mrd. Euro für die SteuerzahlerInnen – deutlich mehr als ursprünglich gedacht. Das bewirkte ungläubige Minen. Der Bund weigerte sich, den für ihn vorgesehenen Zuschuss von 6,2 Mrd. Euro zuzusagen.
Die Lücke zwischen der Politik und den BürgerInnen wuchs täglich. Dabei waren die GegnerInnen kaum organisiert. Die enormen Kosten für das Sportfest ließen sich nicht wegdiskutieren. Das Geld, mit dem die Politik große Räder für den Umbau einer ganzen Elbinsel drehen wollte, wollen die SteuerzahlerInnen lieber sparen.
Das belegt auch die letzte Forsa-Umfrage im Auftrage des DOSB. Die BürgerInnen störten sich kaum an Korruption und waren auch nicht der Meinung, das Geld solle lieber an Flüchtlinge gehen. Nein, die hohen Kosten als solche nannten die meisten als Ablehnungsgrund.
Trotz der ungeklärten Finanzierungsfrage abstimmen zu lassen, damit ging Scholz ein hohes Risiko ein. Und beförderte so den Widerstand gegen ein zusammengemauscheltes Großprojekt. Die HamburgerInnen optierten vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Elbphilharmonie und dem Desaster der Landesbank HSH für die beständigere Variante – keine weiteren Finanzlöcher.
Der DOSB hat seinen Anteil am Fiasko. Er wollte die Chance auf Sommerspiele in Deutschland trotz der kurzen Vorlaufzeit unbedingt nutzen. Am Ende wirkte die Bewerbung improvisiert. Die Sportverbände und die vielen Aktiven sind vor keinen überzeugenden Karren gespannt worden – und nun ernüchtert.
Das Projekt Olympia-Bewerbung war durch die politisch-soziale Konzeptionslosigkeit der Hamburger SPD inspiriert. »Feuer und Flamme« für die Olympia-Bewerbung begründete Olaf Scholz, zugleich stellvertretender Bundesvorsitzende der SPD, im Mai dieses Jahres wie folgt: »Im Sommer 2017 entscheidet das IOC über die Vergabe der olympischen und paraolympischen Spiele 2024. Eine erfolgreiche Hamburger Bewerbung gäbe unserer Stadt einen Entwicklungsschub, der Stadtentwicklung, Wirtschaftskraft und Internationalität entscheidend treiben würde.«
Entwicklungsschub für Stadtentwicklung und Wirtschaftspotenzial – das hörte sich vielversprechend an, hatte aber nur einen vermittelten Bezug zum internationalen Sportfest: »Wir flankieren den Hafen mit einem weltbedeutenden Konzerthaus und mit einem global bedeutsamen Sportgelände. Wir zeigen der Welt, wie vielfältig unsere Stadt ist, wie attraktiv, wie lebenswert. Und wir gewinnen neue Dynamik für unsere eigene innerstädtische Entwicklung.«
Es ging der SPD und der rot-grünen Koalition also weder vorrangig um ein internationales Sportfest, und auch eine Förderung des Leistungs- oder gar nicht die Verbesserung des Breitensports in der Stadt spielten in allen weitergehenden Überlegungen von Scholz und der Hamburger SPD keine Rolle. Die Befürworter von Olympia versprachen die günstige Schaffung eines neuen Stadtteils, eine Erweiterung der Hafencity auf den Kleinen Grasbrook. Die Spiele sollten der Stadtentwicklung dienen.
Die Bewerbung sah vor, dass im Herzen der Stadt, an Elbe und Hafenbecken, ein neuer Stadtteil entsteht. Die Olympischen Spiele sollten dafür Geld aus den Kassen des Bundes nach Hamburg spülen. Ein als Sportveranstaltung getarntes Stadtentwicklungsprojekt, von Dritten bezahlt – was für ein Betrugsmanöver!
Das stellt selbst die stadtpolitische Dummheit des Projekts Elbphilharmonie oder den Ausflug ins internationale Finanzcasino mit der HSH Nordbank noch in den Schatten. Die Ausrichtung eines teuren Sportfests hat nichts mit bürgernaher, zukunftssicherer Stadtentwicklung zu tun.
Es ist nicht der Geist der Spiele, sondern die regelmäßige Kostenorgie, die die BürgerInnen abschreckt. Nach der Ablehnung erst in München und jetzt auch in Hamburg ist kaum denkbar, dass Berlin für 2028 ins Rennen geht. Und das ist aus Sicht der SteuerzahlerInnen auch gut so.
Mit der Entscheidung gegen eine Bewerbung ist auch eine stärkere Förderung des Leistungssports in Deutschland gefährdet. Der DOSB hatte auf eine Kehrtwende gehofft. Er wollte mit Olympia in Hamburg die Schieflage in der Sportförderung bekämpfen.
Trotz monatelanger Pro-Olympia-Kampagne, unterstützt von Senat und Bürgermeister sowie prominenten BefürworterInnern aus Sport und Wirtschaft, wollten sich die Hansestädter nicht hinter die Fichte führen lassen. Das politische Betrugsmanöver ist gescheitert.
Der Erste Bürger der zweitgrößten Stadt Deutschlands, Olaf Scholz, hatte sich sehr persönlich engagiert und immer wieder die Bedeutung eines derartigen Sportereignisses für die Stadt betont. Ob die mit der erlittenen Niederlage verbundene Enttäuschung zu einem Umdenken in Sachen Stadtentwicklung führt, darüber besteht zu Recht Skepsis. Nötig allerdings wäre ein Umdenken: Die Entwicklung einer wirklichen Zukunftsperspektive für die Stadt und die Metropolregion ist jetzt die große Herausforderung.
Rainer Benecke ist Landesprecher der Linkspartei in Hamburg, Joachim Bischoff ist Mitherausgeber der Zeitschrift »Sozialismus« und ehemaliger Bürgerschaftsabgeordneter der Linkspartei. Ihr Text erschien zuerst auf der Website der Zeitschrift.
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