Gipfelstimmung à La Boum
Kaum einer hat es gemerkt, aber es ist trotzdem passiert. Am Freitag, als der Bundestag in einer Regierungserklärung über die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung informiert wurde, stimmte die Regierungskoalition nicht nur einen Entschließungsantrag der Linksfraktion mit unseren Forderungen an die COP21 nieder. Still und heimlich stimmte Schwarz-Rosa auch gegen einen Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments. Diese Erklärung der europäischen Parlamentarier war auf Initiative von Linken und Grünen hin in den Bundestag eingebracht worden.
Kurz vor Beginn der Klimaverhandlungen war uns zu Ohren gekommen, dass Union und SPD die EU-Resolution wegen mehrerer richtiger Öko-Forderungen, etwa das Verbot von CO2-Speicherung in den Boden durch CCS-Technologie, nicht mittragen würden. Besondere Bauchschmerzen aber machte den Freihandelsbefürwortern von CETA und TTIP eine ganz besondere Passage. Paragraph 80 macht nämlich klipp und klar deutlich, dass ein künftiges Pariser Klimaabkommen, seine Grundsätze und Verpflichtungen in keinem Fall »Gegenstand von Verfahren zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten werden könnten«. Für die Merkel-Koalition war allein dieser Passus schon zu viel – und die GroKo stimmte, ohne viel Aufhebens, nicht nur gegen Klimaschutz. Sondern auch gegen Europa und gegen die europäische Einheit, für die sie sonst so laut einstehen.
Ich will hier nicht mit den kleinen Raffinessen und Grabenkämpfen des parlamentarischen Klein-Kleins nerven. Aber die Ablehnung eines EU-Parlamentsbeschlusses zeigt mehr als deutlich: Sobald Klimaschutz auch nur in den kleinsten Bereich der Wirtschaftsinteressen und Marktfreiheit eingreift, und sei es durch einen deklaratorischen EU-Parlamentsbeschluss, ist Ende im Gelände. Sobald auch nur der schüchternste Funken echter Klimaschutz-Verbindlichkeit am Polit-Horizont aufgeht, ist Feierabend mit schöner Weltrettungslaune.
Gut ein Jahr vor der Pariser Konferenz, ich war gerade von der COP20 in Perus Hauptstadt Lima zurück, hatte die britische Botschaft zu einem »Warm up« eingeladen, was sei vom neuen Weltklimaabkommen zu erwarten. Alle hochrangigen Diplomaten, natürlich auch die französischen Gipfel-Conférenciers, waren sich einig: Schluss jetzt mit dem elendigen Geheul vom Weltuntergang, von Klimakatastrophen, von der Bedrohung Millionen von Menschen durch die Erderwärmung, von Strömen hunderttausender Klimaflüchtlinge, von gescheiterten Klimaverhandlungen. Gute Stimmung, good news brauchen die WählerInnen, braucht die Wirtschaft. Und braucht natürlich die Politik, aber davon war im Diplomatischen Corps in Berlin natürlich nicht die Rede.
Am Montag bekommen die MinisterInnen in Paris einen ersten Vertragsentwurf vorgelegt. Wie es derzeit aussieht bleiben die wichtigsten Fragen wie Klimafinanzierung und Überprüfbarkeit von Klimaschutzanstrengungen auch nach knapp einer Woche ungeklärt. Inhaltlich ist weiter alles drin. Eine Luftnummer ohne richtigen Klimaschutz, nur mit einem vagen »Bekenntnis zum globalen Klimaschutz«, irgendwie im Laufe der nächsten paar Jahrzehnte. Oder ein etwas stärkeres Abkommen, das zwar auch keine Verpflichtungen für die Staaten vorsieht, aber immerhin deren freiwilligen Klimaschutzbeiträge alle paar Jahre mal anschaut, um dann mehr Ehrgeiz beim CO2-Einsparen einzufordern. Einzufordern, wohlgemerkt, nicht einzuklagen. Wir kennen dieses System der Freiwilligkeit von Unternehmen. Statt REWE, H&M und andere gesetzlich zu zwingen, keine Bananen aus abgeholzten Regenwäldern und Hosen aus Sklavenarbeit zu verkaufen, schreibt die PR-Abteilung jedes Jahr einen schicken Nachhaltigkeitsbericht. Gut, bei Verstößen gibt es mal kurz schlechte Presse. Aber das war´s auch schon, und alles läuft weiter wie eh und je. Dieses neoliberalste aller neoliberalen Prinzipien heißt »Bottom-Up«, von unten nach oben, ersetzt das »Top-Down« echter Verbindlichkeit, das im Kyoto-Protokoll bis 2020 weiter gilt. Weil bei dem von Oben nach Unten regulieren aber keiner mitmachen wollte, hat auch in der Klimadiplomatie die gute Laune der Freiwilligkeit gewonnen. Ob Shell, Gazprom und die Saudis dann freiwillig auf Kohle, Gas und Erdöl verzichten? Gerade hat die OPEC beschlossen, die Fördermengen weiter hoch zu halten, und den Weltmarkt mit billigem Erdöl zu fluten.
Am Ende wird Paris gute Laune bringen. Für die Merkels, Obamas und Putins, für die französischen Gastgeber, für die Regierungsparteien, für die Wirtschaft. Ein »verbindliches« Abkommen wird Paris aufs Parkett bringen, so oder so. Das werden New York Times, Bild und Prawda in einer Woche titeln, das ist sicher. Wer da draußen versteht am Ende wirklich, was genau drin steht, was das für die Entwicklung der Unwetter, Gletscherschmelzen und steigenden Meeresspiegel bedeutet. Eigentlich können die Planer der Pariser Klimagipfel-Fete schon jetzt die Champagner-Korken knallen lassen. Der Kater kommt später. Aber dann sind längst andere am Ruder, im wahrsten Sinne des Wortes.
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