Adiós Chavistas! Bonjour Le Pens! Oder: Das Klima und die Systemfrage
Es ist gekommen, wie es kommen musste. Frankreich hat bei den Regionalwahlen stramm rechts gestimmt. Die Front National von Marianne Le Pen klopft nun »an die Türen der Macht«, wie der französische »Le Parisien« am Montag danach titelt. Und Ex-Präsident Nicolas Sarcozy kündigte sofort an, seine neokonservative UDP werde keine Wahlbündnisse mit gemäßigten Parteien eingehen, um die FN-Übermacht zu stoppen.
Auch für die internationale Linke ziehen dunkle Wolken auf. Zwei politische Projekte, die sich ab Mitte der 1990er Jahren des neoliberalen Durchmarschs à la Washington Consensus widersetzt haben, stehen mit dem Rücken an der Wand. Venezuelas Opposition hat nach Jahren der Chancenlosigkeit wieder Boden unter den Füßen. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag hat sich die Mehrheit der WählerInnen von der »bolivarischen Revolution« abgewendet. Nach dem Krebstod von Hugo Chávez, der eine Dekade ein Dutzend Wahlen und Volksabstimmungen für sich und den Sozialismus des 21. Jahrhunderts gewann, konnte sein Nachfolger Nicolás Maduro nicht weiter liefern. Inflation, Kriminalität, politische Stagnation, das gefällt auch dem glühendsten Linken auf Dauer nicht, aufgebraucht war der historische Bonus von »Comandante Chávez«.
Die Ohrfeige für nicht erfüllte Wohlstandsversprechen setzte es am Sonntag. Ein Abwahlreferendum gegen Präsident Maduro soll schnell folgen. Die Geschichte erteilt auch hier eine Lektion für alle: Entgegen des Gezeters der Rechten, gerade auch in Deutschland, hatte die karibische Demokratie ihren Geist keinesfalls aufgegeben. Vergebene Jahre des Regime Change, mal per Putschversuch, mal an der Wahlurne, waren gerade nicht Schuld der »Chávez-Diktatur«. Sondern eigenes Unvermögen, eine wählbare Alternative an Mann und Frau zu bringen. Ähnlichen Schiffbruch erlitt eine Woche davor der Peronismus von Christina Kirchner, nachdem ein paar tausend Kilometer weiter südlich ein neuer Staatsschef bestimmt wurde. Nach Stichwahl machte bei den Gauchos der neoliberale Musterschüler Mauricio Macri das Rennen. In Caracas und Buenos Aires werden die neuen Machthaber so schnell als möglich versuchen, die sozialpolitischen Errungenschaften ihrer Vorgänger-Administrationen wie hohe Mindestlöhne, Mindestrenten, Devisen- und Exportkontrollen, starkes Arbeitsrecht, Verstaatlichung strategischer Unternehmen, Sozialprogramme für die Ärmsten der Armen, eine US-kritische Außenpolitik und vieles mehr auf den Müllhaufen der Geschichte zu kehren. Nicht mehr Latino-Sozialismus ist jetzt angesagt. Turbo-Kapitalismus steht jetzt auf der Karte.
Doch wie hält es eigentlich der Klimaschutz mit der Systemfrage? Im Bundestag beerdigte bei der Klimadebatte, letzten Freitag im Bundestag, die Linken-Parteichefin Katja Kipping den »grünen Traum von einem grünen Kapitalismus«. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte hätten gezeigt, dass eine globale Reduktion des CO2-Ausstoßs nur als ökologische Nebenwirkungen »eines Systemzusammenbruchs oder infolge großer Wirtschaftskrisen« gelungen sei. Stimmt, die weltweiten CO2-Emissionen haben 2013 mit 35 Milliarden Tonnen einen neuen Rekord gerissen. Die Ursache wird beim kapitalistischen »Höher, schneller, weiter« verortet, dessen Erfolgskriterium der Profit ist. Mehr Ressourceneffizienz wird sofort wieder aufgefressen, zu groß der Hunger nach Energie und Bodenschätzen in diesem irren Wettrennen der Big Player und Shareholder um Kunden, Märkte und Aktienkurse. Kurzum, lässt Katja Kipping die linke Bestseller-Autorin Naomi Klein die Systemfrage stellen: »Klima oder Kapitalismus - wir müssen uns entscheiden.«
Der Sozialismus also der bessere Klimafreund? Bisher haben die linken Sozialisten dieser Erde keine echte Alternative in Sachen Ökologie auf den Tisch gelegt. Für das Klima war das Ende der DDR-Industrie, man kann es nicht anders sagen, ein Segen. Fast zehn Prozent der bundesdeutschen CO2-Einsparungen seit 1990 sind dem Aus von Buna und Bitterfeld zu verdanken. Historisch gesehen hat keine sozialistische Regierung umweltfreundliche Politik in die Tat umgesetzt, und Wachstum mit Naturschutz in Einklang bringen können. Nur Kuba hat eine grüne Weste, aber ohne eigene Industrie noch fossile Vorkommen auf der Insel.
Auch Sozialismus und Ökologie stecken in einem tiefen Dilemma. Der Kampf gegen die Armut mit Erdöl-Millionen in Venezuela, wo die Armut unter Chávez so stark zurückgegangen ist wie nie, legt den Finger in die Wunde aller linken Projekte. Nicht der venezolanische Links-Bonapartismus, nicht die Peronisten von Buenos Aires, und nicht die Rot-Roten in Brandenburg konnten bisher einen Ausstieg aus Erdöl, Gas und Kohle einleiten. Den einen fehlte es an Alternativen, den anderen an Mut. Umverteilung ist nicht per se gut. Unter Umweltveränderungen leiden zuerst die Ärmsten, vielleicht nicht im eigenen Land, aber andernorts, in Bangladesch, in Butan, in Mali. Internationale Solidarität sähe also anders aus. Ob das Öl aus einem staatlichen Bohrturm sprudelt oder eine Aktiengesellschaft die Kohle und Dörfer abbaggert, die Erderwärmung juckt das Null.
Sind lechts und rinks in der Ökologie sinnfrei? Natürlich nicht. Linke Politik will in die Speichen der Wirtschaft greifen. Linke Politik will die Willkür und Macht der Ausbeutung begrenzen, ohne dabei die produktiven Kräfte einer Volkswirtschaft zu amputieren. Darum steht besonders linke Macht unter besonderer Beobachtung, sie schultert besonders große Verantwortung: Nicht nur auf dem roten, auch auf dem grünen Auge muss linke Politik Weitsicht beweisen.
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