Die Lücke links klafft zu groß

Die Lage ist ernst: Erste Beobachtungen nach den Regionalwahlen in Frankreich. Ein Gastbeitrag von Elisabeth Gauthier

  • Elisabeth Gauthier
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Front National bestätigt nun bei den Regionalwahlen vom 6. Dezember erstmalig nach den Europawahlen im Jahr 2014 seine Position als stärkste politische Kraft mit durchschnittlich rund 30 Prozent des Stimmenanteils.

Die öffentlichen Äußerungen, die konkrete Politik in den durch den Front National geführten Städten und sein liberal-populistisches Parteiprogramm stellen ganz eindeutig die Grundpfeiler des französischen Staates, nämlich Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, in Frage.

Werden die Partei Sarkozys oder der Front National in der überwiegenden Mehrheit oder gar in allen 13 Regionen zur stärksten Kraft, wird die Bedrohung tatsächlich greifbar. Diese Katastrophe hätte dramatische Auswirkungen für die Bevölkerung und die politische Dynamik in Frankreich.

Der Front National konnte bei allen Wählergruppen und ganz besonders bei Jugendlichen, bei Arbeitnehmer_innen und dem Mittelstand, die traditionell eher konservativ wählen, zusätzliche Stimmen gewinnen.

In einer solchen Entwicklung wachsen das massive und nunmehr strukturelle Misstrauen gegenüber der immer schlechter funktionierenden Demokratie sowie die Wut auf all die nicht eingehaltenen Versprechen und die bald wieder aufgegebenen Verpflichtungen. Entgegen der landläufigen Meinung haben die aufeinanderfolgenden Regierungen in den vergangenen zehn Jahren eine rigorose und mit immer härteren und autoritäreren Mitteln durchgesetzte Sparpolitik verfolgt und damit zu einer grundlegenden Ablehnung der Bevölkerung gegenüber den staatlichen Institutionen beigetragen, die sich nicht mehr umkehren lässt.

In den vergangenen Monaten hat vor allem das Fehlverhalten der Partei Sarkozys und in den übrigen Volksparteien, aber auch der sozialistischen Regierungspartei dazu geführt, dass der Front National im Zentrum des politischen Geschehens an Bedeutung gewinnen konnte.

Das oberste Ziel der übrigen Parteien war, den Front National zu blockieren bzw. zu schwächen und in den Regionen selbst stark zu bleiben. Dadurch hofften die Parteien strategische Wähler_innenstimmen bei den Wähler_innen zu gewinnen, die verhindern wollten, dass der Front National in den staatlichen Institutionen an Boden gewinnt.

Allerdings vernachlässigten die Parteien dabei die Entwicklung eigener Projekte und politischer Alternativen. Zum Erstarken des Front National, der sich als »Anti-System-Partei« inszeniert, hat auch ebendiese ablehnende Haltung beigetragen.

Vor dem Hintergrund dieser katastrophalen Aussichten kündigte die Sozialistische Partei vor einigen Wochen an, beim zweiten Wahlgang die Wahllisten der sozialistischen Partei und der republikanischen Partei Sarkozys zusammenzulegen (was von Sarkozy allerdings abgelehnt wurde!). Angesichts der nunmehr aber ausweglosen Situation nach der ersten Wahlrunde hat sich die sozialistische Partei dazu entschlossen, die eigenen Wahllisten bei der zweiten Runde zurückzuziehen. Ziel dabei ist es, dass die übrigen Wähler_innenstimmen nicht auf zu viele unterschiedliche Listen entfallen und die Wähler_innen die erste Liste, also die Republikaner_innen wählen. Damit soll der Front National blockiert werden.

Das würde aber dazu führen, dass in den Regionen entweder die Republikaner_innen Sarkozys oder der Front National zur stärksten Kraft würden. Eine linke Opposition wäre somit gänzlich unmöglich, da Parteien, die im ersten Wahlgang weniger als 10 Prozent erreicht haben, beim zweiten Wahlgang nicht antreten dürfen. Die Parteien des Parteienbündnisses Front de Gauche haben allerdings nur in einer Region mehr als 10 Prozent der Wähler_innenstimmen erhalten. Nur wenn die Sozialistische Partei, die Grünen und der Front de Gauche ihre Wahllisten zusammenlegen, kann die Linke beim letzten Wahlgang stärker sein. Der Abend des zweiten Wahlgangs wird für die Linke Frankreichs also zu einer Zerreißprobe.

Zwar waren es die Parteien des Front de Gauche, die Grünen und die Parteien des linken Flügels, die einen anderen Weg einschlugen, sich gegen die Sparpolitik wandten und für eine solidarische Gesellschaft und für den geteilten menschlichen Fortschritt eintraten; die Wahlergebnisse sind für die Umsetzung dieser Ziele aber unzureichend, bilden keine wirkliche Alternative und können die Lücke, die eine vollkommen geschwächte sozialistische Partei hinterlassen hat, nicht ausfüllen. Dennoch stellen sie einen Ausgangspunkt für die Kämpfe dar, die in Zukunft ausgefochten werden müssen. Die gegenwärtige Herausforderung besteht darin, neue politische Konzepte für eine solidarische Linke zu entwickeln.

Elisabeth Gauthier ist Direktorin von Espaces Marx. Sie ist Mitglied der Führung der kommunistischen PCF und im Leitungsgremium des linken Netzwerkes transform! Europe engagiert. Ihr Beitrag erschien zuerst auf den Seiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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