Das Ich kommt vor dem Wir
Fernziel Olympia 2020: Der Deutsche Handballbund geht bei der Talentsuche neue Wege
Nach Schlusspfiff setzte sich Jakob Vestergaard auf die Trainerbank, lehnte sich enttäuscht nach hinten und beobachtete, wie seine Spielerinnen ihre Gegner abklatschten. Zwar hatten die deutschen Handballerinnen bei der WM in Dänemark gerade gegen Brasilien über 50 Minuten hinweg eine kämpferisch gute Leistung gezeigt und in der Abwehr überzeugt. Doch da das Team des Deutschen Handballbundes (DHB) in der Schlussphase nicht clever und effektiv genug agierte - die glücklose Rückraumspielerin Susann Müller scheiterte gleich mehrfach -, stand es am Ende 24:21 für Weltmeister Brasilien. Nach der Auftaktpleite gegen Frankreich und dem klaren Sieg gegen Argentinien war es die zweite Niederlage im dritten Spiel.
Doch es dauerte nur kurze Zeit, bis Bundestrainer Vestergaard wieder skandinavisch gelassen Optimismus zu verbreiten suchte. »Ich bin zufrieden, ich hätte eben gern gewonnen«, sagte der Däne. »Wir müssen unseren Angriff ein bisschen besser spielen, dann haben wir selbst gegen den Weltmeister eine Chance.«
Es schien, als müsse sich der 40-Jährige nach der verpassten Überraschung erst selbst daran erinnern, dass sich sein junges Team gerade im Umbruch befindet und nur dank einer Wildcard bei der WM dabei ist. Wie Mannschaft und Trainer die aktuelle Phase wahrnehmen, zeigen auch die Aussagen von Clara Woltering. »Zum Schluss gab es einige Stresssituationen, die wir unglücklich gelöst haben. Wir haben den Ball zu schnell verloren. Aber das ist wieder ein Stück Erfahrung, das wir heute sammeln konnten«, sagte die Torhüterin.
Die WM in Dänemark begreifen die deutschen Frauen als erste Sprosse einer Entwicklungsleiter, die bis zu einer Medaille bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio führen soll. Bedeutende Zwischenstufe ist die Heim-WM 2017, für die der Verband bereits jetzt die Teilnahme am Halbfinale als Minimalziel ausgegeben hat. Um die hehren Pläne auch verwirklichen zu können, arbeitet der neue DHB-Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld an einer Neuausrichtung der Nachwuchsausbildung. »In der Sichtung konzentrieren wir uns stärker auf individuelle Qualitäten der Spitzenspielerinnen«, sagt Sommerfeld. Zuvor sei die deutsche Nachwuchsphilosophie eher teamorientiert geprägt gewesen. »Die Kooperation der Spieler untereinander darf aber erst der zweite Schritt sein«, betont der 66-Jährige.
So werden künftig neue Maßstäbe bei der Auswahl der förderungswürdigen Spielerinnen angewandt - bei männlichem und weiblichem Nachwuchs gilt dies übrigens gleichermaßen. Zu den neuen Plänen gehört auch, dass spezifische Trainingspläne für die Talente künftig von dem Trainer erarbeitet werden (Vereins-, Landesauswahl- oder Bundestrainer), der den Sportler am besten kennt; die übrigen Übungsleiter diskutieren den Plan anschließend und ergänzen ihn, wenn nötig. Je 80 Spielerinnen und Spieler werden in diesem Programm speziell gefördert.
Das derzeit entstehende Bundesleistungszentrum im sachsen-anhaltischen Naumburg soll speziell für die Entwicklung der weiblichen Auswahlen dienen. Für diese Maßnahmen braucht es neben zusätzlichem Personal auch Geld, das durch Verschiebungen im Etat und Zuschüsse vom Deutschen Olympischen Sportbund locker gemacht wird. Generell seien die deutschen Handballerinnen beim Neuaufbau auf dem richtigen Weg, sagt Sommerfeld: »Wir müssen beim Frauen-Nationalteam vielleicht etwas mehr Geduld haben als bei den Männern. Aber die Prozesse gehen in ähnliche Richtungen.«
Der junge Trainer genießt dabei Vertrauen. Vestergaard sei wie Männercoach Dagur Sigurdsson für diesen Prozess genau der richtige Mann. »Aber es muss auch bei dieser WM erkennbar sein, dass sich sowohl die Mannschaft als auch jede einzelne Spielerin weiterentwickelt«, sagt der Sportdirektor. Trotz des Fokus’ auf die Perspektive ist das Erreichen des Achtelfinales das Minimum. Dazu bedarf es mindestens eines Sieges in den beiden ausstehenden Spielen gegen Asienmeister Südkorea und die Demokratische Republik Kongo.
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