Fremdenhass nach Bauanleitung

Nazis kurbeln Protest gegen Flüchtlingsheime in Sachsen an / Grüne: Landesregierung ist blauäugig

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Nirgends agieren so viele Initiativen gegen Flüchtlingsheime wie in Sachsen. Nazis und »bürgerliche Mitte« ziehen an einem Strang. Die Grünen werfen der Regierung vor, die Brisanz zu unterschätzen.

Ratgeberliteratur erfreut sich großer Beliebtheit. Das gilt nicht mehr nur für das Sparen von Steuern oder Eheprobleme. Die rechtsextreme Partei »Der III. Weg« verteilt einen Leitfaden: »Wie be- bzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims [sic] in meiner Nachbarschaft«. Er gibt auf 23 Seiten praktische Tipps zur Gründung einer Bürgerinitiative oder Facebook-Gruppe, dazu Anregungen für rechtliche Schritte und die Instrumentalisierung des Baurechts. Auch an Regeln für Flugblätter hat man gedacht. »Am Schluss steht ein konkreter Handlungsaufruf«, wird empfohlen - etwa »Wir wehren uns.«

In Sachsen, sagt die Grünenpolitikerin Petra Zais, scheint der Ratgeber oft und gründlich gelesen zu werden. In Einsiedel, Ortsteil ihrer Heimatstadt Chemnitz, kursieren derzeit Flugblätter nach diesem Muster, mit denen verhindert werden soll, dass ein früheres Pionierlager Geflüchtete beherbergt. Gegründet wurde auch eine Bürgerinitiative - eine Form, bei der laut Ratgeber »kein Administrationsaufwand erforderlich« wird. Sie ist eine von vielen in Sachsen: Rund 60 asylfeindliche Initiativen bestehen nach Zais' Schätzung, so viele wie in keinem anderen Bundesland.

Der vom »III. Weg« erstellte Leitfaden ist bei weitem nicht das einzige Beispiel dafür, wie Nazis die Protestbewegung von vermeintlich »besorgten« Bürgern ankurbeln. In der Antwort auf eine Große Anfrage der Grünen im sächsischen Landtag führt CDU-Innenminister Markus Ulbig eine illustre Liste rechter Kader an, die »maßgebliche organisatorische, logistische oder finanzielle Hilfestellung« für die meist lokal aktiven Initiativen leisten. Frühere Abgeordnete der 2014 aus dem Landtag geflogenen NPD wie Jürgen Gansel und Gitta Schüßler ziehen ebenso Strippen wie Thomas Sattelberg, Ex-Kader der verbotenen »Skinheads Sächsische Schweiz«. Genannt werden Paul Rzehaczek, Landeschef der »Jungen Nationaldemokraten«, Tony Gentsch vom »III. Weg«, Alexander Kurth von der Partei »Die Rechte« und Martin Hering, Inhaber eines Nazi-Versands.

Zugleich bleiben Nazis in den Initiativen keineswegs unter sich. Immer mehr Bürger verlören jede Hemmung, sich mit diesen gemein zu machen. »Die ›bürgerliche‹ Mitte hat keinerlei Berührungsängste mehr«, sagt Zais, die von einer »beängstigenden Entwicklung« spricht. In Schneeberg, wo das Modell bei den sogenannten »Lichtelläufen« schon Ende 2013 mit Erfolg erprobt wurde, zählt eine auf Facebook koordinierte Gruppe 3957 Mitglieder - in einer Stadt mit gerade 15 770 Einwohnern. Latent sei der Fremdenhass schon lange vorhanden gewesen, sagt Zais mit Hinweis auf Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung. Nun bleibt es nicht mehr bei stillschweigender Zustimmung. Die Nazis haben den Anschluss geschafft; bei den Protesten »läuft die Mitte mit«.

Die Regierung nimmt das Thema bisher nicht ausreichend ernst, kritisiert Zais. Die Wirkung des Internets bei der Koordinierung der Aktivitäten werde völlig unterschätzt, die auf Anfrage preisgegebenen Erkenntnisse der Behörden seien »erschreckend dürftig«. Außer den Namen einiger Kader scheine es auch wenig Wissen über die organisatorische Vernetzung von Asylprotestbewegung und Naziszene zu geben. Noch Anfang des Jahres, erinnert sich Zais, habe der Verfassungsschutz die NPD als »Partei des Niedergangs« bezeichnet. Das sei falsch, sagt die Grüne: »Sie hat im Jahr 2015 deutlich mehr Menschen mobilisiert als in den Jahren zuvor.«

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