Aus die Maus
Mit der letzten Folge von »Schlag dem Raab« verabschiedet sich der Entertainer Stefan Raab aufs Altenteil
Für die Hersteller von asiatischen Kochtöpfen brechen demnächst schwere Zeiten an. Ab 2016 wird es keine »Wok-WM« mehr geben, bei der TV-Prominente auf den zu Schlitten umfunktionierten Bratpfannen den Eiskanal hinunterschlitterten, denn Stefan Raab, der Erfinder dieses Sendeformats, tritt in den Ruhestand. Und mit ihm wird eine Reihe anderer Formate in den Archiven verschwinden. Am Samstag wird er letztmalig mit seiner Show »Schlag den Raab« auf seinem Haussender Pro 7 zu sehen sein. Zum letzten Mal wird ein Kandidat versuchen, den Entertainer in diversen Spielen und Disziplinen zu besiegen, um am Ende (das wie immer weit nach Mitternacht liegen dürfte) mit einem ordentlich Batzen Geld aus dem Studio zu gehen.
Der 49-Jährige Kölner Raab ist derzeit der einzige TV-Moderator, dessen Sendezeit von keiner der folgenden Sendungen beschränkt wird; er kann so lange über den Bildschirm hüpfen, springen und schlechte Witze erzählen, wie er will. Raab ist auch in anderer Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Fernsehen: Während Formate wie »Deutschland sucht den Superstar« oder »Germany’s Next Topmodel« Nachahmungen von US-Shows sind, setzte Raab von Anfang an eigene Ideen um.
Raabs bereits im Sommer von ihm höchstselbst angekündigter Abgang aus der Spaßtretmühle Fernsehen hat durchaus Symbolkraft, denn das Alter, in dem er sich aufs Altenteil zurückziehen will, ist just das, das die Programmverantwortlichen des werbefinanzierten Fernsehens seit Anbeginn des Kommerz-TV als »Deadline« für die sogenannte werberelevante Zielgruppe vorgeben. Wer älter als 49 ist, ist kaum noch von Interesse, denn er gilt als nicht mehr erreichbar für die Werbeclips, zu deren Präsentation die Sendungen drum herum produziert werden.
Und Werbung gab es in den von Stefan Raab entwickelten Formaten reichlich - ganz egal, ob die Sendungen »TV total«, »Schlag den Raab«, »Wok-WM«, »Stock Car Crash Challange«, »Autoball WM« oder »TV total Turmspringen« hießen. Von den Landesmedienanstalten wurde Raab deshalb mehr als einmal angezählt und schließlich 2009 dazu gezwungen, bei der jährlichen »Wok-WM«, die 2003 zum ersten Mal auf Pro 7 lief, den Hinweis »Dauerwerbesendung« einzublenden. Raab persiflierte dies daraufhin mit der Einblendung »Dauerfernsehsendung« in seiner Late-Night-Show »TV total«.
»TV total« war der geniale Coup Stefan Raabs. 1999 ging er damit bei Pro 7 auf Sendung, zunächst nur einmal, dann, ab Februar 2001 vier Mal pro Woche. »TV total«, das war mehr als 16 Jahre lang Fernsehen im Fernsehen, ganz ohne die bildungsbürgerliche Attitüde und den aufklärungsgeschwängerten Empörungsfuror eines Oliver Kalkofe, der sich an die Hoffnung klammert, das Publikum würde zu Besinnung kommen. Anders als Kalkofe belehrte Raab sein Publikum nie. Stattdessen warf er ihm den Ausschuss vor, der unweigerlich entstehen musste, seitdem Fernsehen keinen Sendeschluss mehr kennt. Das alles diente nie der Aufklärung, sondern immer dem Amüsement. Raab widerlegte die These von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die in der »Dialektik der Aufklärung« apodiktisch davon ausgingen, dass in der Kulturindustrie das Amüsement lediglich die Verlängerung der Arbeit ist; bei Raab war es eben doch Zerstreuung am Feierabend.
In seinen jungen Jahren, also zu seiner VIVA-Zeit bis 1999, war Raab ein pubertärer Spaßmacher, später bei Pro 7 ein großes Kind, das nicht erwachsen werden wollte und die Schadenfreude seines Publikums bediente, das über all die zur Schau gestellten peinlichen verbalen Entgleisungen des als »bildungsfern« und dumpfgeistig charakterisierten Hartz-IV-Lumpenproletariats lachte. Der Kabarettist, Theaterschauspieler und Moderator Harald Schmidt, dessen Late-Night-Show Anfang der 2000er Jahre beim Konkurrenzsender Sat.1 lief, beschrieb den Unterschied zwischen ihm und dem neun Jahre jüngeren Stefan Raab einmal so: »Ich ziehe nur Prominente durch den Kakao, weil die das TV-Geschäft kennen und wissen, worauf sie sich einlassen.« Doch je länger »TV total« lief, desto mehr nutzte sich dieser Einwand von Harald Schmidt ab. Im Vergleich zu den Scripted-Reality-Formaten wie »Familien im Brennpunkt«, »Die Schulermittler«, »Frauentausch« oder »Bauer sucht Frau« ist das, was Stefan Raab heute macht, Qualitätsfernsehen. Und wenn, wie es bei »TV total« gelegentlich in den vergangenen Jahren geschehen ist, Jugendliche gezeigt werden, die Thüringen für eine Stadt in Ostdeutschland halten, dann haben sie dies in vollem Bewusstsein ins Mikrofon gesprochen, dass sie damit ins Fernsehen kommen. In seiner gut 25 Jahre dauernden TV-Präsenz hat Raab die These des US-Medienphilosophen Herbert Marshall McLuhan untermauert, wonach durch das Unterhaltungsfernsehen die Welt zu einem »globalen Dorf« werde, in der jeder jeden kennt bzw. zu kennen glaubt und deshalb einen gewissen Grad an Prominenz erfährt. Das moderne Fernsehen als Durchlauferhitzer für diverse Empörungswellen ist Fluch und Segen zugleich: Zwar werden immer mehr Opfer immer schneller durch den Kakao gezogen, das kollektive Gedächtnis des »Homo fernsehensis« vergisst die zu Episoden verdichteten Peinlichkeiten aber ebenso schnell wieder.
Raab war aber nur der Vorbote des totalitären Fernsehens, dessen Vollstrecker heute Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt heißen. Ließ sich Stefan Raab für eine gute TV-Quote lediglich von der Boxweltmeisterin Regina Halmich das Gesicht zu Brei schlagen, begab sich Joko Winterscheidt vor wenigen Tagen in »Duell um die Welt« (Pro 7) vor einem Millionenpublikum auf einen Drogentrip, um die von seinem Partner Klaas Heuer-Umlauf gestellte »Challange« zu gewinnen.
Der Stefan Raab in seiner Spätphase ist erwachsener, gesetzter geworden. Der Ehrgeiz, jederzeit der Beste zu sein, ist zwar immer noch da, doch die Respektlosigkeit, die ihm 1997 eine gebrochene Nase einbrachte, nachdem der Rapper Moses Pelham, den Raab über ein Jahr lang in seiner VIVA-Sendung der Lächerlichkeit preisgegeben hatte, zuschlug, ist einer altersmilden Zurückhaltung gewichen.
Raab hat das Fernsehen revolutioniert, er hat den »Eurovision Song Contest« mit seinen Kompositionen - zunächst für Guildo Horn (1998), dann höchstselbst (2000) sowie für Max Mutzke (2004) - wieder auf die Erfolgsspur gebracht, bevor er mit Lena Meyer-Landrut vor fünf Jahren den Wettbewerb gewann. Vor der Bundestagswahl 2013 wurde Raab selbst zu einer Institution, womit faktisch die Phase der Revolution abgeschlossen war. Zusammen mit Anne Will (ARD), Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL) moderierte er das Kanzlerduell zwischen Angela Merkel (CDU) und ihrem Herausforderer von der SPD, Peer Steinbrück. Jetzt konnte der Spaßmacher Raab also auch Kanzlerduell. Die Sendung »Absolute Mehrheit« war in den Monaten vor der Bundestagswahl auf Pro 7 gelaufen. Darin stritten Politiker mit Prominenten und weniger bekannten Personen - mit dem Ziel, eine Mehrheit im Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Damit verfolgte Raab nach eigener Aussage die Absicht, seine Zielgruppe in der Altersgruppe der unter 25-Jährigen wieder für Politik zu interessieren. Staatstragender hätte dies auch Günther Jauch nicht ausdrücken können.
Was bleibt von Stefan Raab? Ob man sich in Jahrzehnten noch an ihn erinnern wird, wenn von »TV total« die Rede ist, ist nicht sicher; wer weiß denn etwa heute noch, wer »Das laufende Band« oder »Einer wird gewinnen« in den 1960ern und 1970er moderiert hat? Solange es aber die »Sendung mit der Maus« in der ARD geben wird, solange wird man sich auch an Raabs wunderbare musikalische Hommage erinnern, die der damals 30-Jährige 1996 zum 25-jährigen Jubiläum der »Sendung mit der Maus« komponierte. Nun denn: »Schmeiß den Fernseher an: Hier kommt die Maus!«
»Schlag den Raab«, Pro 7, Sa., 20.15 Uhr.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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