Das vergessene Potenzial
Technik allein macht noch keine Befreiung. Aber sie kann uns dabei helfen.
Technik ist, was Linke wenig begeistert. Das ist natürlich grob zugespitzt. Aber wer will schon der Behauptung widersprechen, dass in der Debatte über den gegenwärtigen Schub der Produktivkraftentwicklung in der Linken ein skeptischer Modus dominiert, der viel über die Risiken zu wissen glaubt, angesichts eigener Schwäche aber die in Technik steckenden Potenziale von Befreiung »vergisst«. Motto: Da die Bösen uns von der Regulierung, Einhegung, Gestaltung des Neuen fernhalten, wird sich darin wieder das Schlechte durchsetzen. Weshalb besser gleich zum Abwehrkampf geblasen wird.
Nicht Technik kann uns somit aus unserem ökologischen Elend erlösen. Sondern nur bestimmte Techniken, wie z.B. Solarzellen. Und nur dann, wenn sie in anderen sozial-ökonomischen, politischen und kulturellen Verhältnissen Anwendung finden, meint nd-Redakteur Guido Speckmann.
Nur: Ist das fortschrittlich? Dass in dem jeweils aktuellen Stand der Technik sich ökonomische, soziale und politische Verhältnisse niederschlagen, ist eine Binsenweisheit. Keine noch so avancierte Erfindung wird das ändern - und doch ändert neue Technik die Voraussetzungen gesellschaftlicher Reproduktion. Eine zweite Binsenweisheit ist, dass sich auch mit einer bloß veränderten Nutzung von Technik, etwa im Interesse des Gemeinwohls, jenseits von Marktimperativen, nicht mehr dominiert von privater Eigentumsmacht und so fort, noch nicht gleich der real existierende Kapitalismus in ein Paradies verwandelt - und doch ändert eine andere Techniknutzung die Voraussetzungen, Alternativen gegen die »Beschissenheit der Dinge« durchzusetzen.
Zum Beispiel Gesundheitsdaten. Während von links versucht wurde, die Einführung der elektronischen Patientenkarte zu verhindern, haben private Anbieter die Schwächen und Verzögerungen des Projekts genutzt. Es gibt inzwischen jede Menge marktförmige Anwendungen zur Nutzung von individuellen Gesundheitsdaten unter der Fahne neoliberaler Leistungs- und Fitnesskultur.
Besser ist dadurch so wenig geworden wie durch die immer noch eingeschränkte Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte. Ungleich verteilte, aber wachsende gesellschaftliche Kosten durch fehlende Informationen seitens der Ärzte, daraus resultierende Risiken für die Patienten - das alles ist kein Pappenstiel. Dennoch hat sich die Linke letzten Endes auf den technischen Träger kapriziert: aus Datenschutzgründen. Die Risiken wird niemand bestreiten. Aber warum wurde die Auseinandersetzung um die Gesundheitskarte nicht im Angriffsmodus geführt: indem man sie zu einer um die Daten an sich macht mit dem Ziel, diese von einer Ware in Gemeingut zu verwandeln?
Zum Beispiel die neue Welle der Automatisierung. Bei aller Skepsis gegenüber Modebegriffen wie »Industrie 4.0« ist eines unwiderlegbar: Ein neuer Zyklus der Einführung von Technik, vor allem von cyber-physischen Systemen, geht weit über die bloße Erneuerung oder Automatisierung bestehender Maschinenparks hinaus. Auch viele Jobs werden verloren gehen. Nicht alle bisher Beschäftigten werden es auf ihrer Stelle noch bis zur Rente schaffen oder per Weiterbildung Anschluss halten können. Die Folge: Immer billiger »arbeitende« Maschinen drücken auf die Löhne von immer weniger Beschäftigten - womit zunehmend die stark auf Arbeitseinkommen basierende Finanzierung des Öffentlichen untergraben wird.
Was eine Befreiung von Plackerei und ein Gewinn an disponibler Zeit sein könnte, wird unter den herrschenden Verhältnissen zum Treiber der Vertiefung von Unfreiheit. Statt aber nach den Webstühlen nun die Roboter zu attackieren (oder zu verachten), könnte die gesellschaftliche Linke eine Debatte über die indirekte Besteuerung von nichtmenschlicher Arbeit und damit über die Vergesellschaftung der Automatisierungsdividende anzetteln, wie es schon vor Jahren vorgeschlagen wurde.
Der weißrussische Publizist Evgeny Morozov hat dieser Tage daran erinnert, eine linke technologiepolitische Strategie könne »nur dann erfolgreich sein, wenn man bereit ist, eine klare Haltung auch zu Fragen der Privatisierung und der Rolle des Marktes« einzunehmen. Das ist völlig richtig. Doch Morozov stellt sich selbst ein Bein, wenn er zugleich proklamiert, die gesellschaftliche Linke solle »weniger Zeit mit Modeerscheinungen wie 3D-Druckern, Peer-to-Peer-Netzwerken« und so fort »verplempern« und sich stattdessen den »alten, nach wie vor maßgeblichen Fragen widmen«.
Warum sollte man die Kritik an den Basiskategorien der kapitalistischen Gesellschaft gegen den Versuch ausspielen, einen realistischen und radikalen politischen Umgang mit den »von Silicon Valley inspirierten Phänomenen« zu finden? Es liegt kein Fortschritt darin, wenn auf diese Weise die in der Technik liegenden Potenziale für Befreiung zum »Vergessen« gebracht werden.
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