Richter und Polizisten fordern Legalisierung
Im neu geründeten Verein LEAP engagieren sich auch Strafverfolger für den Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik
Der Jugendrichter Andreas Müller sorgt immer mal wieder für Aufsehen. Mit seinen unkonventionellen Entscheidungen machte er oft schon Schlagzeilen. So untersagte er einem Neonazi das Tragen von Springerstiefeln und schickte eine junge Rechtsradikale zum Döneressen in den migrantisch geprägten Berliner Stadtteil Kreuzberg. Müller gilt zudem als Befürworter einer Legalisierung von Cannabis. Da kann es nicht verwundern, dass der Jurist zu den Gründungsmitgliedern der deutschen Sektion von Law Enforcement Against Prohibition (LEAP) gehört. In den USA gehört LEAP seit 2002 zu den Vorkämpfern für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums. Dem Verein gehören Richter und Staatsanwälte ebenso an wie Polizisten. Sie alle kennen die verheerenden Folgen der US-amerikanischen Prohibitionspolitik. Von den mehr als 2,2 Millionen Strafgefangenen sitzen viele wegen Drogendelikten ein. Es war der von Präsident Ronald Reagan ausgerufene »Krieg gegen die Drogen«, der die Zahl der Insassen dramatisch ansteigen ließ. Während der US-Geheimdienst CIA in verdeckten Operationen tonnenweise Kokain in die USA flog, um so die nicaraguanischen Contras zu finanzieren und die afghanischen Mudschaheddin ihre US-Waffen mit Heroin bezahlten, landeten Hunderttausende, überwiegend arme und farbige Amerikaner in den später privatisierten Gefängnissen.
So dramatisch wie in den USA ist die Lage in Deutschland nicht. Trotzdem, so Andreas Müller im »nd«-Gespräch, sei er als Strafverfolger, »ebenso wie viele Polizisten und Staatsanwälte, tagtäglich mit den Auswirkungen der Drogenpolitik konfrontiert. Ich sehe, was da falsch läuft und weiß, dass diese Drogenpolitik mehr Opfer schafft, als dass sie etwas nützt.«
Müller und seinen Mitstreitern geht es »um eine weltweite Veränderung der Gesichtspunkte bezüglich des Kampfes gegen die Drogen, der verloren geht, wenn wir die Strategie nicht ändern«. Weg von der Repression, hin zu mehr Prävention, so die Faustformel.
Müller weiß, wovon er spricht. Seit 1997 ist er am Amtsgericht Bernau tätig und drängt seit Langem auf einen Paradigmenwechsel im Umgang mit weichen Drogen. Denn obwohl der Konsum von Cannabis in Deutschland nicht ausdrücklich verboten ist, gebe es »eine ganze Menge Leute, die auch mit sechs oder sieben Gramm Cannabis vor dem Strafrichter landen«. Wer ein paar Gramm mit sich führt, ist oft kein Dealer, sondern nur Konsument. Trotzdem müssen die Betroffenen mit einer Verurteilung und enormen Konsequenzen rechnen. Der Führerschein ist genauso in Gefahr wie der Job als Erzieher oder Berufsschullehrer. »Im Grunde genommen gehören diese Konsumenten nicht vor den Strafrichter. Die machen nichts Böses«, unterstreicht Müller. Auch für Polizisten und Richter ist die Sache ärgerlich, müssen sie doch jeden kleinen Drogenfund verfolgen. »Bundesweit zählt man 250 000 Fälle Drogenfälle pro Jahr«, so Müller. »Davon haben etwa 150 000 einen Cannabis-Bezug. Allerdings landen nur 50 000 bis 60 000 tatsächlich vor dem Richter. Eine Entkriminalisierung würde also vor allem die Polizei entlasten, weil die hier immer noch für den Papierkorb arbeitet.«
Der Meinung ist auch Hubert Wimber, ehemaliger Polizeipräsident von Münster und Vorsitzender von LEAP Deutschland. Bereits 2010 sprach sich der Polizist öffentlich für eine Legalisierung von Cannabis aus. Seinem Dienstherrn, dem nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD), war das Engagement des Beamten nicht geheuer. Er untersagte Wimber noch im Oktober 2014 die Teilnahme an einer Pressekonferenz im Bundestag, auf der die Gründung von LEAP Deutschland bekannt gegeben wurde. Für den Bundestagsabgeordneten Frank Tempel (LINKE) ein Unding: »Das ist ein politisches Verbot«, echauffierte sich Tempel, der ebenfalls zu den LEAP-Gründern gehört. Dienstrechtlich habe das Ministerium eigentlich keine Handhabe gehabt, so der Abgeordnete, der selbst lange Jahre als Kriminalbeamter tätig war.
Das Verbot aus Düsseldorf hatte auch nur eine aufschiebende Wirkung. Als Wimber im Mai aus Altersgründen in Pension ging, stand der Gründung von LEAP nichts mehr im Weg. Die aufgrund des Vetos aus Düsseldorf abgesagte Pressekonferenz wurde im September dieses Jahres nachgeholt. Mittlerweile fungiert der 67-Jährige als Vorsitzender des Netzwerks, dem auch der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Neskovic und der Bremer Strafrechtler Lorenz Böllinger angehören. An der Gründungsversammlung von LEAP Deutschland am 16. Dezember nahmen auch drei Bundestagsabgeordnete teil: neben Frank Tempel die Sprecherin für Innere Sicherheit der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, sowie die SPD-Parlamentarierin Bettina Müller. Zwar ist die Sozialdemokratin eine Genossin aus der zweiten Reihe, doch ist ihre Mitgliedschaft ein Zeichen dafür, dass sich bei der in Drogenfragen eher konservativen alten Dame SPD etwas tut.
Auch Jugendrichter Andreas Müller beobachtet den Sinneswandel: »In der SPD tun sich, wie man zum Beispiel in Berlin sieht, eine Menge an Leuten zusammen, die sagen, wir wollen eine andere Cannabis-Politik. Auch bei den Gesundheitspolitikern in der SPD findet ein Umdenken statt.« Selbst in der Union würden die ersten nachdenklichen Stimmen laut. »Es sind im Moment noch Haushaltspolitiker, die darüber spekulieren, was dem Staat an Milliarden-Einkünften durch die Lappen geht. Aber es sind auch Leute, die möglicherweise aufgrund ihrer eigenen Verfolgung, die sie mal irgendwo erlebt haben - meinetwegen Homosexuelle in der CDU -, darüber nachdenken, ob wir eine große Minderheit in unserer Gesellschaft weiter verfolgen dürfen. Das sind ja Freiheitsrechte, die da tangiert werden«, so Müller, der selbst einmal für die PDS als Parteiloser für den Bundestag kandidierte.
Noch ist LEAP Deutschland klein und auch die Medien reißen sich nicht um Interviews mit den Protagonisten. Doch Frank Tempel ist zuversichtlich, dass LEAP ein wirksames Instrument im Kampf für eine Entkriminalisierung wird. »Jetzt gibt es eine Organisation, die genau diese Position der Strafverfolger zum Thema Drogenpolitik vertritt.«
Doch auf der anderen Seite stehen Gegner wie die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU), die strikt gegen eine Liberalisierung ist, weil dadurch die »Risikowahrnehmung des Cannabiskonsums« zurückgehe. »Durch die falsche Botschaft, Kiffen sei harmlos, besteht die Gefahr, dass noch mehr konsumiert wird«.
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