Der »Strahlende« verschwindet im Nebel
In der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen in Dresden wird ab März kein »Phaeton« mehr gebaut
Als der Wagen aus seiner Bahn geschleudert wird, kommt es zur Katastrophe. »Große Städte gehen mitsamt ihren Mauern unter«, schreibt der griechische Dichter Ovid über den Unfall des Phaeton, Sohn des Sonnengottes Helios, dessen Name »der Strahlende« bedeutet. Er hatte die Kontrolle über den von ihm gelenkten Sonnenwagen verloren. Er selbst stürzte dabei vom Himmel - tot.
Ganz so schlimm hat es die Gläserne Manufaktur von VW in Dresden nicht erwischt: Keine Mauer stürzt ein, und der 40 Meter hohe Turm des ungewöhnlichen Werksgebäudes am Großen Garten im Zen- trum der sächsischen Landeshauptstadt bleibt stehen. Und das, obwohl auch das hier gebaute edle Gefährt, das auf den Namen des griechischen Sagenhelden getauft wurde, bald das Zeitliche segnen soll. Nur noch bis Ende März 2016 wird der »Phaeton« gebaut, eine Edellimousine für bis zu 127 000 Euro, mit der Volkswagen entgegen dem im Firmennamen postulierten Anspruch den Versuch unternahm, auch Besser- und Bestverdienende als Kunden zu gewinnen.
Man kann nicht sagen, dass der Produktionsstopp aus heiterem Himmel käme; und auch der für VW teure Skandal um manipulierte Abgaswerte gab höchstens den letzten Ausschlag. Wesentlicher Grund für das Ende der Produktion ist wohl eher, dass sich die hoch fliegenden Erwartungen nie so recht erfüllt haben. Mehr als 100 Fahrzeuge könnten in Dresden pro Tag vom Band laufen, hatte man im Dezember 2001 bei Eröffnung der Manufaktur getönt, die 186 Millionen Euro gekostet hatte und vom Freistaat mit 90 Millionen bezuschusst worden war. Doch selbst in einem passablen Jahr wie 2012 wurden nur 11 000 Phaetons verkauft, rund 40 pro Werktag. Interessenten fanden sich am ehesten in China, wohin 70 Prozent der Produktion gingen. Zuletzt wurden täglich noch acht Phaetons montiert. Um die Hallen besser zu nutzen, schraubt man seit 2013 auch den Bentley »Flying Spur« in Dresden zusammen - ein Auto, das sogar sagenhafte 200 000 Euro pro Stück kostet.
Für VW war die Gläserne Manufaktur ohnehin stets mehr Prestigeobjekt als Produktionsstandort. Es ging darum, potenten Kunden ein Spektakel zu bieten. Sie sollten in Dresden Hochkultur genießen und gleichzeitig ihrem fahrbaren Untersatz quasi bei der Geburt zuschauen können. Die Montage der andernorts vorgefertigten Komponenten durch ganz in weiß gekleidete Arbeiter auf Parkett aus kanadischem Ahorn wirkte wie ein weihevolles Hochamt; in der Firmen-PR wurde von einem »kommunikativen Ereignis« geschwurbelt. Als Werbeträger scheint die Manufaktur passabel zu funktionieren: Allein im Jahr 2014 kamen 144 000 Gäste, neben Käufern auch Teilnehmer von Führungen sowie die Zuschauer vieler kultureller Spektakel. Es gab Konzerte und Opernaufführungen; einst zeichnete das ZDF im Glashaus sogar eine Denkershow namens »Philosophisches Quartett« auf.
Ab März wird die Manufaktur nun gänzlich auf diesen intellektuellen Überbau reduziert. Events und Führungen gibt es weiterhin; auch die Übergabe von VW-Autos an ihre Käufer findet weiter statt - nur geschraubt wird nicht mehr. Eine Dresdner Boulevardzeitung spricht despektierlich von einer »Eventhalle mit angeschlossenem Autohaus«. 400 Produktionsarbeiter müssen vorerst nach Zwickau und an andere Konzernstandorte in Sachsen pendeln, was für dortige Zeitarbeiter die von Gewerkschaftern kritisierte Entlassung zur Folge hatte. Etwa 100 Beschäftigte bleiben in Dresden.
Der »Phaeton« selbst verschwindet derweil im Nebel. Vielleicht, so heißt es, kehrt der »Strahlende« im Jahr 2019 zurück - als Elektrofahrzeug.
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