Mit voller Härte des Gesetzes

Robert D. Meyer über den inflationären Gebrauch einer politisch gefährlichen Phrase für den Rechtsstaat

  • Lesedauer: 4 Min.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) versprach es, ebenso seine Parteikollegin und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Diverse Politiker der Union stimmten in den Chor mit ein und selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sah sich aufgrund der der öffentlich aufgeheizten Stimmung nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln dazu veranlasst, nachfolgend lautenden Satz zu sagen: Der Rechtsstaat werde mit aller Härte des Gesetzes gegen die (mutmaßlichen) Täter vorgehen.

Eine Aussage, die reflex- und gleichsam gebetsmühlenartig von Politikern aller Parteien ausgerufen wird, sobald sich ein erschütterndes oder mindestens öffentlichkeitswirksames Ereignis einstellt. Gelegenheiten bieten sich ständig: Seien es Steuerbetrug, der rechtspopulistische Umgang zum Thema Drogenpolitik, besonders schwere Kapitalverbrechen wie Mord und eben jetzt die Silvesternacht in Köln, wo es um sexuelle Gewalt und Diebstahl geht.

In erster Linie erheben Politiker deshalb diese Forderung, da sie der Bevölkerung einerseits Sicherheit und die Durchsetzungsfähigkeit des staatlichen Gewaltmonopols beweisen soll. »Seht her, wir kümmern uns!« Auch wenn das »wir« in diesem Fall meist Polizei sowie Justiz meint und eben nicht den jeweiligen Politiker.

Andererseits nötigen insbesondere konservative und rechte Kreise mit ihrer grundsätzlich skeptischen Haltung gegenüber einer angeblich zu laxen Judikative es der Politik häufig ab, pro forma nach der vollen Härte des Gesetzes zu rufen, um nicht in den Verdacht zu geraten, zu sorglos mit der öffentlichen Sicherheit umzugehen.

Doch genau in dieser aufgedrängten permanten Wiederholung liegt die Gefahr: Inhaltlich ist die Forderung nichts weiter als eine leere Phrase, drückt sie doch lediglich eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat aus. Im Subtext der Botschaft schwingt unbeabsichtigt die Unterstellung mit: Wenn ein Politiker zu einem konkreten Anlass (in der Regel eine Straftat) die volle Härte des Rechtsstaates fordert, heißt dies dann im Umkehrschluss, die Ermittlungsbehörden arbeiten in allen anderen Fällen weniger sorgfältig?

Letztlich drohen durch den Ruf nach den im Einzelfall besonders gründlich ermittelnden Sicherheitsbehörden, selbige ihre Glaubwürdigkeit langfristig aufs Spiel zu setzen, die öffentliche Ordnung noch gewährleisten zu können. Wenn wir schon bei einem Ereignis zur besonderen Gründlichkeit ermahnen müssen, wie läuft dies dann erst bei schätzungsweise 99 Prozent der Straftaten, die keiner breiten Öffentlichkeit bekannt werden und deswegen keinerlei Kommentierung durch die Poltik erfahren?

Äußern sich zudem prominente Vertreter des Staates, wie im Fall Köln Kraft und Merkel, wirkt der Subtext mit einem Mal noch weitaus bedrohlicher: Wenn schon die Kanzlerin Polizei und Justiz auffordert, ihrer Arbeit gerade jetzt sehr gewissenhaft nachzugehen, muss schließlich etwas faul im Staatswesen sein.

Doch es geht noch schlimmer, wie die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt mit ihrer Aussage zu Köln zeigte. Via Facebook teilte Sie der Öffentlichkeit mit: »Die Übergriffe in Köln & St. Pauli müssen aufgeklärt & die Täter mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden. Es darf keine rechtsfreien Räume geben – ganz egal, ob hinter den Straftaten deutsche Staatsbürger, Ausländer oder Asylbewerber stecken. Das Gesetz gilt für jeden, ob er aus Dresden oder Damaskus stammt.«

Man muss die Grünen-Fraktionsvorsitzende drei Fragen stellen: Fordert jemand einen rechtsfreien Raum für Sexualdelikte und Diebstähle? Fordert jemand eine Sonderbehandlung für mutmaßliche Straftäter mit Migrationshintergrund? Was hat die Herkunft eines mutmaßlichen Täters mit einer konkret ihm vorgeworfenen Tat zu tun?

Der Verleger und Publizist Jakob Augstein stellt dazu treffend fest: »Bizarr, wie nach Köln betont wird, das Gesetz gelte für alle, ohne Rücksicht auf Herkunft. Hat jemand etwas anderes behauptet oder erwartet?« Und an die Adresse der Grünen gewandt: »Karin Göring-Eckardt lehnt einen ‘Bonus für Nationalität’ ab – den niemand gefordert hat. Das ist Sarrazin-Niveau.«

In der Tat bedient Göring-Eckardt in ihrer Aussage eine Argumentation, die bei Konservativen und Rechten auf Beifall stoßen wird. Unterschwellig suggeriert die Grünen-Politikern, es könnte vielleicht doch insgeheim eine Art von Bonus geben, denn warum sonst schließt sie sonst im Einzelfall etwas explizit aus, was es in einem funktionierenden Justizsystem nicht gibt?

Am Ende kann durch den fahrlässigen Umgang mit politischen Phrasen der Rechsstaat und damit die Gesellschaft nur verlieren.

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