Grenzkontrollen sind keine Lösung
Frank Puskarev meint, nationale Symbolpolitik kann europäische Solidarität weder ersetzen noch erzwingen
Unter dem Hashtag Dont-TouchMySchengen reagieren Menschen aus ganz Europa entsetzt bis verzweifelt auf die Einführung von Grenzkontrollen an den Grenzen von Schweden und Dänemark. Es sind Tausende, die sich mit Sätzen wie »Denn sie wissen nicht was sie tun…« oder »Hände weg von offenen Grenzen« zu Wort melden. Auch die EU-Kommission scheint Zweifel am Vorgehen vor allem Schwedens zu haben, welches diesmal mit der Einführung der Kontrollen den ersten Dominostein umwarf, Dänemark zog in dieser Logik nach. Schon seit dem Sommer wird um die Verteilung der Flüchtenden in Europa gestritten. Grenzzäune auf der Balkanroute, immer wieder kurzzeitige Grenzschließungen, kurz: menschenverachtende Maßnahmen, sollten auf Notlagen aufmerksam machen, die Volksseele beruhigen und/oder politische Lösungen befördern. Bei Gesprächen in Brüssel wurde nun - mal wieder - beraten, wie die Koordination verbessert werden kann. Doch die Probleme liegen woanders.
Sie liegen zum Beispiel in Schweden. Das einstige Musterland der Integration von Zugewanderten hat schwere Versäumnisse zu verantworten. Hohe Arbeitslosigkeit insbesondere unter MigrantInnen, fast kaserniert zu nennende Wohnverhältnisse und mangelnde Integrationsbemühungen seitens der schwedischen Gesellschaft erschweren die Ankunft aktuell Flüchtender massiv. Die rot-grüne Minderheitsregierung lässt sich von Konservativen und Rechtsextremen durch die politische Arena treiben und wird von den europäischen Partnern im Stich gelassen. Denn trotz aller Kritik an den Passkontrollen, Schweden hat pro Einwohner bisher europaweit die meisten Flüchtenden aufgenommen.
Das seit Kurzem von einer rechtsliberalen Minderheitsregierung geführte Dänemark trug nicht unwesentlich dazu bei, dass Schweden handelt, wie aktuell zu beobachten. Dort verweigert man sich gleich ganz, weitere Flüchtende aufzunehmen, und hat in den vergangenen Monaten zunehmend restriktiv auf entsprechende Anfragen aus Brüssel und den Mitgliedsstaaten reagiert. Dänemark leitet stattdessen über Deutschland Ankommende schon mal direkt nach Schweden weiter, ob die Flüchtlinge das wollen oder nicht.
Der Kern des Problems liegt aber in Brüssel. Auch der drölfzigste »Flüchtlingsgipfel« hat bisher wenig dazu beigetragen, die Situation vieler tausender Menschen auf der Flucht zu verbessern. Zwar wurden ein paar finanzielle Mittel bereitgestellt, die den Mitgliedsländern bei der Bewältigung der zusätzlichen Aufgaben helfen sollen. Ansonsten konzentriert sich aber alles darauf, die Festung Europa auszubauen. Die Dublin-Regeln, welche das Prinzip des Erstaufnahmestaates festschreiben, stehen trotz offenkundiger Untauglichkeit nicht zur Diskussion. Eine Regelung, die es den Flüchtenden erlaubt, sich dort niederzulassen, wo sie es für richtig halten - und wie sie jeder EU-Bürger als Grundrecht in Anspruch nehmen kann - ist nicht in Sicht. Von einer fairen Lastenverteilung der durch die EU durchaus mitverursachten Flucht ist obendrein keine Rede. Den widerspenstigen EU-Staaten von Großbritannien über Polen bis nach Ungarn sollte man endlich mit Kürzungen von Fördermitteln verdeutlichen, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist.
Wenig hilfreich ist überdies, dass die europäische Linke neben akuter Nothilfe und Solidaritätsadressen bislang wenig zur Lösung beizutragen hat. Eine Verständigung auf ein europäisches Konzept zum Umgang mit der drängenden Solidaritätskrise fehlt genauso wie ein Austausch darüber, wie es künftig mit Europa weitergehen soll. Die in den kommenden 18 Monaten anstehenden Entscheidungen in Großbritannien zum Brexit, die Klagen Ungarns und der Slowakei gegen die Flüchtlingsverteilung, die Rechtsentwicklung in Polen und die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich werden Europas Weg entscheidend beeinflussen.
Zu all dem herrscht dröhnende Stille von links, bestenfalls Empörung hier und da. Doch genau hier beginnt die Lösung des Problems, das sich jetzt an den Grenzen Schwedens und Dänemarks erneut manifestiert. Kann sich »r2g«, die gesellschaftliche Linke, zeitnah auf ein solidarisches Europa-Konzept verständigen, welches dem neoliberalen Nachtwächterstaat à la Großbritannien oder dem Rechtsextremismus Ungarns entgegenzustellen wäre? Es wäre Europa und der Linken zu wünschen. Denn nur so lässt sich der Gedanke der europäischen Einigung noch retten.
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